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Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)

Titel: Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Faras
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auf den Felsen der Bucht gesehen hatte? Eigentlich dachte sie, die Gestalt nicht genau genug erkannt zu haben, aber irgendetwas ließ sie glauben, dass es Ilyena gewesen war.
    Während des Abstiegs hinunter zur Bucht ging Ninive direkt hinter Ilyena. Die Frau war etwas kleiner als sie, wenn auch deutlich größer als Lilian. Sie hatte dunkle Hautfarbe, dunkler als Ninive es je bei einem Menschen gesehen hatte. Während die linke Seite ihres Schädels kahl geschoren war, fielen lange schwarze Haare glatt über ihre rechte Gesichtshälfte. Hinter ihrem Ohr waren sie hingegen kurz rasiert und gaben den Blick auf ihren schmalen Nacken und die muskulösen Schultern frei, über die sich ein löchriges sandfarbenes Leinenhemd spannte, das zu den Oberschenkeln in einem kurzen Rock auslief. Ninive fragte sich, warum Ilyena in solch unpraktischer Kleidung hier draußen in der Natur unterwegs war.
    Am auffälligsten war aber, dass Ninive das Gefühl hatte, Ilyena zu kennen. Sie wollte sie fragen, woher sie kam, mehr über die Frau herausfinden, die seit ihrer Vorstellung kein einziges Wort gesprochen hatte, doch während des Abstiegs über den schmalen Pfad konnten sie nur hintereinander her gehen, ohne dass es eine Möglichkeit zum Reden gab. Erst nachdem sie den Fuß der Steilküste erreicht hatten und in das kleine Boot gestiegen waren, änderte sich die Situation. Ninive passte den richtigen Moment ab und ließ sich neben der dunkelhäutigen Frau auf einer Ruderbank im Bug des Boots nieder, während Lilian und Isaak im Heck sofort in ein Gespräch verfielen und die anderen beiden Männer sich an die Ruder begaben.
    „Gehörst du auch zu ihnen?“, begann Ninive ungelenk das Gespräch und deutete mit dem Kinn in Richtung ihrer Begleiter. Ilyena drehte den Kopf und sah sie aus dunklen Augen an. Gerade als Ninive dem Blick kaum noch standhielt, wandte sich Ilyena ab und begann zum ersten Mal zu sprechen, mit einer weichen und für ihre zierliche Gestalt bemerkenswert tiefen Stimme.
    „Ich gehöre zu niemandem. Aber ich habe eingesehen, dass es das Richtige ist, Isaak zu helfen.“
    „Ich bin mir noch nicht sicher, ob es das Richtige ist“, entgegnete Ninive ehrlich.
    „Ich weiß. Ich kann deine Zweifel verstehen, aber du hast keine bessere Alternative als sie, richtig?“
    „Ich glaube, die habe ich tatsächlich nicht.“ Ninive fuhr sich mit den Fingern durch ihre blonden Haare und zerrte einige dünne Zweige und Blätter heraus. Neidisch sah sie zu Lilian hinüber, die ihre Haare wie immer unter ihrem Kopftuch versteckt hatte.
    „Dann ist die Frage, was das Richtige ist, völlig überflüssig.“ Ilyena zog ihren Rocksaum zurecht.
    Ninive sah sie an. Für einen Augenblick überlegte sie, ob Ilyena ein Klon wie sie sein konnte. Die Art, wie sie redete, teilnahmslos und zurückweisend, erinnerte sie an Neurohemmer mit Fehlfunktionen. Doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Es gab in den letzten Jahren nur eine Handvoll gut gehüteter Geheimnisse am Institut für Sangre-Forschung, und sie kannte alle, gehörte sogar selbst dazu.
    „Warum sitzt du nicht vorne bei Isaak?“, fragte Ilyena plötzlich beiläufig, ihr Blick geradeaus auf den Horizont gerichtet, der sich zwischen den beiden felsigen Landarmen der Bucht wie ein gespannter Draht zog.
    „Warum sollte ich?“, entgegnete Ninive irritiert. „Ich kenne ihn gar nicht.“
    „Natürlich“, sagte Ilyena wie zu sich selbst und schwieg. Ninive wartete einen Moment, ob darauf noch etwas folgen würde. Als die Frau in der Leinenkleidung jedoch weiterhin schweigend die Wellen beobachtete, die vom Meer kommend in der Bucht sanft ausliefen, startete sie einen weiteren Versuch, das Gespräch wieder aufzunehmen: „Ich dachte mir, man wird mich ihm schon vorstellen, wenn die Zeit gekommen ist, er scheint viel mit Lilian besprechen zu müssen.“
    „Vermutlich“, Ilyena löste sich aus ihrer Reglosigkeit und drehte den Kopf fast unmerklich, blickte zum Heck des Boots, das von Seamus und Martin angetrieben die Bucht bereits zur Hälfte durchquert hatte. „Es ist nur so, dass ihr Klone gewisse Gemeinsamkeiten habt. Verhaltensmuster.“
    „Soll das heißen ... Isaak ist ein Klon?“
    Ninive sah den Mann abschätzend an. Sie war sich sicher, einen Klon erkennen zu können. Isaak hatte sie aber für einen gewöhnlichen Menschen gehalten. Sie konnte an ihm keine Auffälligkeiten erkennen. Sein Verhalten schien dem eines Menschen angepasst, soweit Ninive das beurteilen

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