Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
sich nicht sicher sein, ob sich nicht jemand in der oberen Ebene des Appartements aufhielt.
Sie untersuchte das Fenster. Ein kleiner ID-Scanner befand sich im unteren Bereich des Fensterrahmens. Sie hatte darauf spekuliert, dass es an diesem Fenster eine Notentriegelung gab, schien es doch außer der Eingangstür der einzige Zugang zum Appartement zu sein, der im Notfall als Ausgang dienen konnte, ohne dass man gleich fünfzig Meter tief auf die Straße stürzte. Ohne einen Blick über den Rand des Beets zu riskieren griff Sequana in die Seitentasche ihres Rucksacks und zog ein kleines Dechiffriergerät hervor, das für sie in der Vergangenheit bereits einige Sicherheitsschlösser geöffnet hatte. Bei einer Wohnanlage wie Magritte Parc rechnete sie mit einer Alarmvorrichtung, wenn Unregelmäßigkeiten beim ID-Scan auftraten. Die Anlagen waren so eingerichtet, dass sie bei einem regulären Scanversuch mit einer falschen ID eine Fehlermeldung ausgaben jedoch keinen Alarm auslösten, immerhin kam es immer wieder mal vor, dass eine ID-Card nicht beim ersten Scan lesbar war. Ein ID-Dechiffrierer hingegen wies Muster bei der ID-Simulation auf, die in der Regel erkannt wurden und sofort einen Alarm auslösten, wenn die Simulationsfrequenz nicht auf Anhieb getroffen wurde.
Um die Gefahr eines Alarms anhand der Reaktionszeit des Scanprozesses einschätzen zu können, holte Sequana ihre eigene ID-Card hervor und hielt sie testweise vor den Scanner. Sie beobachtete die Status-LEDs an der Seite des kleinen Schlosses und achtete auf das Intervall des Prozessorblinkens bis die Fehlermeldung zurückgegeben wurde. Doch nach wenigen Sekunden endete der Scanvorgang und zu ihrem Erstaunen sprang das kleine Schloss auf. Hatte der Professor eine Situation wie diese vorausgesehen und Sequanas ID für seine Appartementverriegelung freigeschaltet? Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Ohne weitere Zeit mit Spekulationen zu verschwenden drückte sie langsam das Fenster auf und ließ sich dann ins Innere des Appartements gleiten. Innen schob sie das Fenster leise wieder zu. Ein kaum hörbares Klicken und Summen erklang als die Verriegelung zuschnappte und das ID-Schloss den Notausgang wieder sicherte. Sequana bewegte sich nicht und hielt den Atem an, als sie in die Wohnung lauschte. Am oberen Ende der Treppe waren Schritte zu hören, die langsam auf und ab gingen. Zufrieden darüber auf ihren Instinkt gehört zu haben ging Sequana in die Hocke und setzte leise den Rucksack ab. Dann löste sie die Schnürung ihrer schweren Stiefel und zog sie aus. Auf Socken machte sie einige geräuschlose Schritte zum Fuß der Treppe und hielt erneut inne.
„Verbinden Sie mich mit Professor Gallea, bitte.“ Die Stimme aus der oberen Etage war weiblich, und trotz des bestimmten Tonfalls konnte Sequana sofort Unruhe heraushören. „Ja, ich warte ...“
Die Frau im oberen Stockwerk machte einige schnellere Schritte durch den Raum und entfernte sich von der Treppe. Sequana prüfte mit einem Fuß, ob die Stufen der hölzernen Treppe knarzten, doch zu ihrer Zufriedenheit konnte sie geräuschlos nach oben gehen. Die Treppe endete in einem großen, offenen Raum, der jedoch kleiner war als die untere Etage und von dem einige Türen abgingen. Der Treppenaufgang war mit einigen schwarzen, metallischen Raumtrennern abgeschirmt, an denen eigenartig schmalblättrige Ranken wuchsen, die man so vermutlich nicht in der freien Natur finden konnte. Sequana ging hinter den Trennwänden in Deckung, nicht ohne vorher einen Blick durch den Raum geworfen zu haben. Die Frau stand auf der anderen Raumseite vor einem großen Fenster mit Blick über die Dächer von Montmartre. Sie trug einen schwarzen Kampfanzug, an dem Sequana auf einen Blick eine Taser Gun erkennen konnte.
„Bertrand, hör zu“, die Frau löste ihren Blick vom Fenster und begann wieder damit, im Raum auf und ab zu gehen. „Es ist noch niemand hier eingetroffen. Nein, weder Cédric Doignac noch irgendjemand, der den Anschein macht, mit Belnoir in Verbindung zu stehen. Bist du sicher, da-...“ Sie wurde offenbar unterbrochen und hörte eine Zeitlang still zu. Sequana riskierte einen Blick über den Raumteiler und sah die Frau nur etwa zwei Meter vor sich stehen, den Rücken ihr zugewandt. Sie überlegte nicht lange. Das Telefonat entwickelte sich nicht in eine besonders informative Richtung, und dies war wohl ihre beste Chance, die Frau zu überraschen.
Sie machte einen Schritt um das Ende des
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