Solheim 01 | EUROPA: Der Beginn einer Dystopie (German Edition)
Zeichen und wartete auf Ilyenas bestätigendes Nicken, dann schloss sie die Finger fest um den Griff der Pistole mit Brandmunition und lief los. Ihr Ziel war die obere Ladeluke des Schiffs, die über einen Treppenwagen, der in der Nähe parkte, erreichbar war. Sie sah sich kurz um, steckte die Waffe an ihren Gürtel und begann, die Stufen des Treppenwagens hinaufzufliegen, während sie unter sich hörte, wie Ilyena die Tür des Wagens aufriss und sich hinter das Steuer klemmte.
Es war nicht leicht, das Tempo zu behalten, während sich der Wagen in Fahrt setzte. Kurz bevor sie das obere Treppenende erreichte, stolperte Ninive und schlug mit dem Schienbein hart auf den metallenen Stufen auf. Fluchend rappelte sie sich auf und versuchte den Schmerz in ihrem Bein zu ignorieren. Ilyena hatte den Wagen mittlerweile an der Luke geparkt und folgte ihr jetzt.
Irgendwo unter ihnen hörte Ninive Schüsse, deutlich näher als der Kampflärm auf der anderen Seite des Schiffs. Sie warf einen hastigen Blick zurück und sah, dass Ilyena sie schnell einholte. Offenbar war sie es nicht, die unter ihr ein weiteres Feuergefecht begonnen hatte. Wissend, dass ihr nicht viel Zeit blieb, weiter darüber nachzudenken, konzentrierte sich Ninive auf die Luke. Sie rechnete damit, die Verriegelung mit ihrer Kraft sprengen zu müssen – nicht gerade eine Stärke von ihr – doch als sie an der Verriegelung drehte, ließ sich diese einfach öffnen. Die Children of Chou hatten das Schiff so schnell aufgegeben, dass sie es nicht einmal mehr verriegelt hatten. Ninive hatte gegen diesen Umstand nichts einzuwenden.
Sie schob die schwere Luke auf und machte einen Schritt von der wackligen Treppe ins große Schiff. Ilyena hatte sie unterdessen eingeholt und folgte ihr mit einem Satz ins Innere. Ninive spähte an ihr vorbei nach unten. Zu ihrem Schrecken sah sie, dass weitere Ossfhang in den Hangar stürmten. Sie mussten schneller sein!
Zu zweit schoben sie die Luke wieder zu und verriegelten sie. Dann ging Ninive im Geiste die Unterlagen aus ihrem Einsatzprotokoll durch. „Wir müssen diesen Gang geradeaus weiter bis zum Atrium, da gibt es Fahrstühle zu den Frachtebenen.“
Ilyena stürmte voran, die Waffe griffbereit, doch im Schiff schien sich ihnen niemand in den Weg zu stellen. Im Laufschritt folgend betrachtete Ninive den Gang genauer, der weiter zum Kern des Schiffs führte. Sie hatte ein Interieur erwartet, das an die Raumschiffe der alten Science Fiction Filme erinnerte. Stattdessen ähnelte alles den Bildern eines Kreuzfahrtschiffs aus dem 20. Jahrhundert. Abgewetzte aber dicke Teppiche liefen die Gänge entlang, die Wände waren holzvertäfelt und die Türen mit Stoffüberzügen verziert.
Ihren Schritt verlangsamend dachte Ninive darüber nach, welchen Lauf die Ereignisse genommen hätten, wäre Lilian nicht gewesen. Sie wäre direkt den Children of Chou in die Arme gelaufen, vielleicht sogar ohne zu ahnen, welche Machenschaften diese im Hintergrund führten. Vielleicht hätte sie bis zu diesem Moment alles noch für eine offizielle Mission des Instituts und der Armee gehalten. Und eigentlich war es das ja auch, nur dass wichtige Stellen in diesen Organen von einer Gruppierung unterwandert worden war, deren Ziele und Absichten sie noch immer nicht kannten. In jedem Fall wäre sie wohl einfacher auf eines dieser Schiffe gelangt. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ossfhang ihre sichelartigen Klauen auf den Aéroport setzten.
26 | ALJOSCHA
„Immer noch Wahnvorstellungen?“ Dr. Kershin blickte von der Kaffeemaschine auf, die sich an diesem verregneten Nachmittag der allgemeinen Stimmung im Aljoscha-Krankenhaus anpasste und widerspenstig den Dienst verweigerte. Eva Aden schloss die Tür des Aufenthaltsraums und duckte sich unwillkürlich. Sie hasste Kershin und seinen Zynismus, seine herablassende Art, mit der er den Mitarbeitern der Neuropsychiatrischen Station begegnete. Schon an normalen Tagen konnte Kershins pure Anwesenheit den Lichtschein aus Lampen und die Wärme aus den Heizsystemen vertreiben, an einem Tag wie diesem musste man mit dem Tor zur Hölle rechnen, wenn man sich zu lange in seiner Nähe aufhielt. Und Eva entsprach zudem seinem Opferschema in jeder Hinsicht: Psychologin, keinen Doktor, weiblich, jung. Keine dieser Eigenschaften sorgte dafür, dass Kershin ihr auch nur im Entferntesten Kompetenz zugestand.
„Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es nicht nur einfache Wahnvorstellungen sein können, Dr.
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