Soljanka (German Edition)
ihm wieder in den Verkehr einzufädeln. Stamm ließ ihn fahren und
suchte nach einem Parkplatz, ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen um diese
Zeit. Nach einer halben Runde um den Block gab er die Suche auf und fuhr ins
Parkhaus des Kaufhofs. Von dort aus ging er federnden Schrittes zum
Haupteingang des Breidenbacher Hofs. Sich unauffällig umsehend, durchmaß er
zügig die Empfangshalle und steuerte die Bar an, die schon wenige Monate nach
der Wiedereröffnung der Nobelherberge in den einschlägigen Führern als
»Weltklasse« klassifiziert wurde.
Die Bar war einigermaßen besucht. Mehrere Tische waren international
besetzt. In den mit Zebrafell bezogenen Sesseln hatte es sich die globalisierte
Geschäftswelt bequem gemacht, Japaner, Russen, traditionell gekleidete Araber,
die hier die Chance nutzten, an hochprozentigen Kreationen des Abendlandes zu
nippen, und auch einige Repräsentanten des Okzidents selbst. Waleskas
unbekannter Begleiter saß auf einem Hochstuhl an der Bar und hielt sich an einer
Margarita fest.
Stamm erspähte einen freien Tisch mit Zebrasesseln und besetzte
denjenigen, von dem aus er die Theke im Blick behalten konnte, ohne sich den
Hals zu verrenken. Er zwang sich, in dieser fremden Welt locker zu bleiben, und
studierte ausgiebig die gediegen gestaltete Karte.
Ein »Düsseldorf-Cocktail« erregte seine lokalpatriotische
Aufmerksamkeit. Er musste lächeln, als er las, dass das Alleinstellungsmerkmal
dieses Drinks der traditionelle Düsseldorfer Magenbitter »Killepitsch« war, der
auf den Feten in Stamms Jugend nach Mitternacht die Runde machte, wenn die
besonders standfesten Trinker allmählich das Gefühl beschlich, dass die
verbliebene Zeit nicht reichen würde, um von Bier allein besoffen genug zu
werden. Vermischt mit einem exotischen Likör, Chili-Wodka und Maracuja-Saft
wurde ein mondäner Drink daraus, dessen Preis Stamm geflissentlich überlas. Er
bestellte das Gesöff, als ihn eine zuvorkommende und natürlich bildhübsche
Bedienung nach seinen Wünschen fragte.
Stamm vertrieb sich die Zeit, indem er Unsinn in seinen Notizblock
schrieb, dabei lange Pausen einschob, in denen er den Nachdenklichen mimte und
regelmäßig zur Theke schielte. Zwischendurch holte er sein Handy heraus und tat
so, als lese er Nachrichten. Dabei stemmte er die Ellenbogen auf den Tisch und
versuchte, halbwegs wackelfreie Fotos des Unbekannten zu schießen.
Nachdem er die zweite Margarita ausgetrunken hatte, erhob sich der
Mann, bedeutete dem Barkeeper durch ein Handzeichen, dass er jetzt gehe,
schnappte sich seinen Trenchcoat vom Nachbarstuhl und verließ die Bar. Stamm
gab ihm Vorsprung, holte währenddessen sein Portemonnaie aus der Jacke und
schob es in die Hosentasche, dann erhob er sich auch, tat so, als müsste er
sich orientieren, und folgte, seine Jacke liegen lassend, dem Unbekannten. Er
kam zu spät.
Als er in die Empfangshalle trat, stand der Unbekannte schon an der
Rezeption und nahm seinen Zimmerschlüssel in Empfang. Das kurze Gespräch konnte
er nicht hören, wahrscheinlich wünschte der Rezeptionist dem Gast eine gute
Nacht.
Stamm drehte ab und nahm wieder Kurs auf die Bar. Kurz vor dem
Eingang blieb er stehen und beobachtete nachdenklich das kaum vorhandene
Geschehen zwischen Theke und Zebrasesseln. Kurz entschlossen holte er sein
Portemonnaie aus der Hosentasche, nahm einen Zehner heraus und versenkte ihn in
seiner rechten Faust. Dann schlenderte er langsam zu seinem Tisch, ließ wie
zufällig seinen Blick zu dem Hochstuhl schweifen, auf dem bis vor Kurzem der
Unbekannte seine Margaritas geschlürft hatte, und bewegte sich dann zielstrebig
in die Richtung. Sowohl der Barkeeper als auch die Bedienung hatten anderweitig
zu tun. Stamm entging jedoch nicht, dass der aufmerksame Barkeeper ihn aus den
Augenwinkeln erfasst hatte. Stamm bückte sich und tat so, als würde er zwischen
den Beinen den Hochstuhls etwas aufheben. Im Aufstehen suchte er den
Blickkontakt zum Barkeeper, der sich nicht lange bitten ließ und herüberkam.
»Sieht so aus, als wäre heute mein Glückstag«, sagte Stamm mit einem
aufgeräumten Lächeln und hielt den Zehner zwischen Zeige- und Mittelfinger in
die Höhe.
»Scheint so.« Der offenkundig italienische Barkeeper zwinkerte ihm
zu.
»Aber ich will ja niemanden in Armut stürzen«, fuhr Stamm fort.
»Irgend ’ne Ahnung, wer hier gesessen hat?«
»Na klaro«, machte der Barkeeper, »der ist bestimmt Signor Ackermann
aus der Jacke gefallen.«
»Ackermann?«,
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