Soljanka (German Edition)
wohl
weitersuchen. Wenn ich bloß wüsste, wo.« Er stand auf. »Lass uns ins Bett
gehen. Die Kälte macht müde.«
Sie saßen schon kurz vor acht Uhr am Frühstückstisch. Stamm
bestellte wie immer in Hotels Kaffee, Eva notgedrungen Kräutertee. Trotz der
neun Stunden Schlaf gähnte sie träge, während Stamm nicht wusste, wohin mit
seiner Vitalität. Er bot Eva an, ihr einen Frühstücksteller zusammenzustellen.
Sie lehnte jedoch dankend ab. Schon beim Betreten des Frühstücksraums hatte sie
das üppige Buffet gierig gemustert.
Wismar war bis ins 18. Jahrhundert schwedisch gewesen, das Buffet
schien eine Reminiszenz an diesen Teil der Stadtgeschichte zu sein. Eva war vor
allem auf die Varianten von eingelegtem Hering scharf und wollte sich die
Auswahl nicht abnehmen lassen. Stamm begnügte sich mit einem gekochten Ei und
zwei Scheiben Vollkornbrot mit Pommerschen Wurstspezialitäten. Sie waren fast
fertig, als die Gastgeberin Stamm zum Telefon rief.
»Stamm«, meldete er sich neugierig.
»Hier spricht Dagmar Fenten. Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
Sie sprach mit leiser Stimme.
»Nein, wir haben schon gefrühstückt.«
»Ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll.« Stamm musste den
Hörer ans Ohr pressen, um sie zu verstehen. »Wir haben ja gestern Abend über
Rico gesprochen.«
Stamm kniff die Augen konzentriert zusammen. »Richtig.« Er ließ ihr
Zeit, sich zu sammeln.
»Mein Mann«, sagte sie schließlich, »hat Ihnen die Umstände von
damals geschildert, aber da ist etwas, was nicht zur Sprache gekommen ist. Und
ich glaube, das sollten Sie wissen. Ich wäre sehr froh, wenn es Ihnen gelingen
sollte, die Wahrheit herauszufinden über das, was damals passiert ist.«
»Ja?«
»Also nur damit Sie das nicht falsch verstehen. Mein Mann konnte
Ihnen das gar nicht sagen, weil er es gar nicht weiß. Deshalb wäre ich Ihnen
sehr dankbar, wenn Sie es für sich behalten würden. Zumindest bis Sie die ganze
Wahrheit herausgefunden haben.«
Stamm trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Theke.
»Versprochen«, presste er hervor.
Sie seufzte und brauchte wieder einen gewissen Anlauf, bis sie
fortfuhr. »Sie haben ja gestern gehört, dass mein Mann und Herr Dembski nicht
gut aufeinander zu sprechen waren. Wegen dieser alten Geschichten aus der DDR . Deshalb hat Rico auch etwas vor meinem Mann
geheim gehalten. Er war in Dembskis Tochter verliebt. Sie waren ein Paar.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Stamm. »Rico und Angela waren ein Paar?«
»Nein, nein, nicht Angela. Birgit. Die ältere Dembski-Tochter. Sie
waren in einer Klasse und schon eine ganze Weile zusammen. Aber Rico hat sich
nicht getraut, meinem Mann etwas davon zu sagen. Eben wegen der alten
Geschichten. Mich hat er ins Vertrauen gezogen, weil ihn die Heimlichtuerei
allmählich überforderte.«
»Oh«, machte Stamm. »Das ist eine … wirklich interessante
Information. Und Ihr Mann weiß das bis heute nicht?«
»Nein. Ich hatte nicht den Mut, es ihm zu sagen. Es hätte ja auch
nichts mehr geändert, nachdem Rico … gestorben war.«
Stamm versuchte fieberhaft, die Ereignisse von damals gedanklich zu
ordnen. Eine Frage drängte sich auf. »Wusste Dembski davon?«
»Ich weiß es nicht. Rico und Birgit waren übereingekommen, es geheim
zu halten. Aber selbst wenn sie sich an die Vereinbarung gehalten hat, könnte
ich mir schon sehr gut vorstellen, dass ein Mann wie Dembski dahintergekommen
war.«
Stamm nickte vor sich hin. »Das würde natürlich Dembskis Motiv,
ausgerechnet Rico zum Sündenbock zu machen, deutlich verstärken. Und es würde
erklären, warum Birgit kurz nach den Ereignissen auf Nimmerwiedersehen
verschwunden ist.« Er hing wieder eine Weile seinen Überlegungen nach.
»Andererseits … ja, wie soll ich das sagen … also nach allem, was ich gehört
habe, erscheint mir Dembski nicht als innig liebender Vater. Gehen wir davon
aus, er findet das heraus mit Rico und Birgit. Ich weiß nicht, ob ihn das so
rasend macht, dass er den Freund seiner Tochter gleich aus Eifersucht tötet.«
»Nein, das glaube ich auch nicht«, sagte Dagmar Fenten ruhig.
»Darauf will ich gar nicht hinaus. Ich glaube, es ist viel schäbiger. Stellen
Sie sich doch mal die konkrete Situation vor. Wir wären ja, wenn diese Liebe
von Dauer gewesen wäre, gewissermaßen zu einer Familie zusammengewachsen. Es
ist wohl weder für meinen Mann und noch viel weniger für Dembski vorstellbar
gewesen, in dieser Form zusammenzukommen. Vielleicht hat ihn diese
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