Soljanka (German Edition)
Neues herausgefunden. Stamm überlegte,
ob er im Präsidium anrufen sollte. Er ließ es sein. Selbst wenn Korn da war –
er war am Zug, sich wegen van Wateren zu melden. Und Korn war zuverlässig.
Stamm richtete sich auf einen Faulenzer-Sonntag mit Lesen und
Fernsehen ein. Nachdem Eva um Viertel vor neun aufgestanden war, frühstückten
sie und machten es sich oben im Wohnzimmer gemütlich. Da Eva vom vielen Liegen
Rückenschmerzen hatte, machte er ihr eine stützende Kissenlandschaft zurecht.
Gegen elf wurde Stamm langweilig. Er rief Wanja an, aber der war
weder zu Hause noch über Handy erreichbar. Kurz vor eins klingelte Stamms
Handy.
»Hier ist März«, meldete sich eine Männerstimme.
Stamm brauchte zwei Sekunden, bis er Stimme und Namen dem
pensionierten Kripomann aus Waren zugeordnet hatte.
»Herr März, ich grüße Sie«, rief Stamm, als der Groschen gefallen
war. »Was gibt’s Neues im wilden Nordosten?«
»Ich habe da etwas, was Sie interessieren könnte. Sie erinnern sich
an Josef Müller, den Zeugen, der vor Jahren verschwunden ist?«
»Ja natürlich. Sagen Sie bloß, Sie haben ihn aufgespürt.«
»Nein, nein, das nicht. Aber vielleicht seine Frau. Wir haben gestern
Abend mit ein paar ehemaligen Kollegen zusammengesessen. Einer von ihnen war
Müllers Nachbar gewesen.«
»Das hatten Sie gesagt, ja.«
»Also wir haben natürlich auch ein wenig über alte Fälle gesprochen,
und dabei stellte sich heraus, dass dieser Kollege vor ein paar Monaten einer
Tochter von Müller über den Weg gelaufen ist. Sie ist an einem Wochenende mit
ihren Kindern nach Waren gekommen, um ihnen ihre alte Heimat zu zeigen. Sie
lebt jetzt bei Ihnen in der Gegend, in Mülheim an der Ruhr. Die junge Müller
ist Kindergärtnerin, und ihr Mann arbeitet bei einer japanischen
Elektronikfirma in Ratingen. Sie haben zwei Kinder, es geht ihnen gut, sie
haben ein Haus, in dem auch genug Platz für die Mutter ist. Ist ganz praktisch.
Annerose Müller kann sich ein wenig um die Kinder kümmern, während die Eltern
arbeiten.«
»Und Josef Müller?«, fragte Stamm.
»Das wusste mein Kollege nicht genau. Er hat es aber so verstanden,
als wäre er gestorben.«
»Na toll«, seufzte Stamm. »Der einzige Zeuge.«
»Ja, das wäre nicht so schön«, stimmte März ihm zu. »Aber vielleicht
lohnt es sich, mit der Frau zu sprechen. Ich bin eigentlich ziemlich sicher,
dass sie weiß, was aus ihm geworden ist.«
»Einen Versuch ist es sicherlich wert«, sagte Stamm. »Die Adresse
haben Sie nicht zufällig?«
»Leider nicht. So eng waren mein Kollege und die junge Müller nicht.
Das heißt, Müller stimmt natürlich nicht mehr. Die Familie heißt Rehberger.
Katharina und Robert Rehberger. Man sollte sie eigentlich finden können.«
»Ich werd’s versuchen. Ich habe übrigens auch etwas Interessantes
herausgefunden. Etwas, das die Ungereimtheiten in Rico Fentens Alibi erklären
könnte.« Er machte eine Kunstpause, aber Udo März war zu sehr Polizist, um
seiner Neugier Luft zu machen. »Fenten und die ältere Dembski-Tochter waren ein
Paar«, fuhr Stamm fort.
»Woher wissen Sie das?«, fragte März.
»Von Fentens Mutter. Wir waren nach dem Besuch bei Ihnen noch in
Wismar und haben mit Ricos Eltern gesprochen. Ernst Fenten ist überzeugt davon,
dass Rico einem Racheakt von Ulrich Dembski zum Opfer gefallen ist. Weil der
Pfarrer in den letzten Jahren der DDR Dembskis
Kreise gestört hat. Er glaubt, dass Dembski auch nach der Wende noch viel
Einfluss auf die Behörden in Waren hatte und dass er dafür gesorgt hat, dass
Ricos Alibi durch eine suggestive Befragung seiner Freunde erschüttert wurde.«
»Quatsch«, sagte März.
Stamm lächelte. »Das war auch mein Gedanke. Ich fand das Gespräch
nicht sehr ergiebig. Aber am nächsten Morgen rief Frau Fenten an und erzählte,
dass Rico und Birgit Dembski ineinander verliebt waren, dies wegen der
Feindschaft der Familien aber geheim gehalten hatten. Ernst Fenten weiß wohl
bis heute nichts davon. Während des Volksfestes sollen die beiden zusammen
gewesen sein.«
Es blieb eine ganze Weile still in der Leitung. Stamm konnte den
alten Polizisten vor sich sehen, wie er seine Gedanken ordnete.
Schließlich sagte März leise: »Darauf haben wir nicht kommen können.
Ich habe mir noch mal alle Erkenntnisse, die wir hatten, in Erinnerung gerufen.
Es gab nicht den leisesten Hinweis auf so etwas.«
Stamm kniff irritiert das linke Auge zusammen. »Halten Sie es denn
für plausibel?«
»Es ist, als
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