Soll das ein Witz sein? - Karasek, H: Soll das ein Witz sein?
ausgesiedelt, vertrieben. Lebten in Trümmern unter schrecklichen Umständen, hungerten, litten unter Besatzungsregimen, die sie sich nicht ausgesucht hatten. Es war die sogenannte Stunde null. Ein Volk, das bis vor dem bitteren Ende, der totalen Katastrophe, verzweifelt auf Sieg gesetzt hatte, wider jede bessere Einsicht und Erfahrung.
Und nun schien alles zu Ende zu sein. Man musste sich voller Verzweiflung ums pure Überleben kümmern. Da findet man keine Zeit, über die eigene Schuld, über die eigenen Verbrechen, über die eigene Niederlage nachzudenken. Die anderen waren die Sieger – und basta. Sieger haben immer recht. Da muss man, als Besiegter, ihnen nicht auch noch recht geben.
Irgendwann, erst sehr langsam und allmählich, keimte im kollektiven Bewusstsein die Ahnung, dass wir zwar besiegt worden waren, dass wir aber vorher ein gerüttelt Maß an Schuld an der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mitzuverantworten hatten. Eine solche Erkenntnis bricht sich erst nach und nach Bahn, und sie wird begleitet oder besser: konterkariert von den Abwehrreaktionen, die da heißen: Es kann doch nicht alles nur schlecht gewesen sein, was wir gemacht haben. Und auch nicht alles gut, was die Sieger getan hatten. Die schlimmste, schadenfroh gehässigste Version ging so: Wir dachten, dass die Westmächte – jetzt war der Kalte Krieg in vollem Gange – es bereuten, nicht mit Hitler Waffenstillstand geschlossen zu haben und gemeinsam gegen die Sowjetunion Stalins losmarschiert zu sein. »Wir haben das falsche Schwein geschlachtet«, hieß die primitive Stammtisch-Version dieser selbstgerechten Erkenntnis.
Und dazu gehörte an den Stammtischen und in Familiengesprächen das immer wiederholte Mantra: Gewiss, Hitler war ein Verbrecher, keine Frage. Unentschuldbar, dass er, der das doch im Ersten Weltkrieg am eigenen Melder-Dasein erlebt hatte, einen Zweifrontenkrieg vom Zaun gebrochen hatte. Das hätte er nicht tun dürfen. Und auch das mit den Juden, das war zu viel des Schlechten.
Aber, hoben die Rechtfertiger an, er hat zwar viel Falsches, meinetwegen sogar Schlechtes getan. Andererseits hat er die Arbeitslosen mit seinen Arbeitsprogrammen von der Straße geholt. Und er hat die Autobahnen gebaut. Um die uns immerhin die ganze Welt beneidet. (Wir wollen immer beneidet werden. Möglichst von der ganzen Welt!) Andere Völker wollen sie nachbauen.
Quintessenz: Hitler, das muss man zugeben, ohne Wenn und Aber, war ein Verbrecher! Er hat vieles falsch gemacht. Zugegeben! Aber immerhin hat er die Autobahnen gebaut.
Das war einer der Kernsätze der deutschen Entlastungsmentalität. Und nun der Witz der Grünen noch einmal. Mit historischem Background.
Zwei Grüne, Spitzenpolitiker ihrer Partei, sagen, nachdem sie den brausenden Verkehr auf der Bundesautobahn beobachtet haben:
»Hitler mag ja manches richtig gemacht haben (impliziert den Arbeitsdienst, den Heilkräutertee, den Blut-und-Boden-Gedanken). Aber eins hätte er nicht tun dürfen. Die Autobahnen hätte er nicht bauen dürfen.«
Manchmal wird die historische Wahrheit offenbar, wenn man sie vom Kopf auf die Füße stellt.
Über das Weiterleben der Autobahn als »Straße des Führers« und über den Reichsarbeitsdienst, der die Arbeitslosigkeit beendet hatte – also kurz: über das Weiterleben der sogenannten guten Seiten des sogenannten Dritten Reichs gibt es einen Witz, der teils ein Einverständnis mit der Kontinuität der deutschen Geschichte über den »Zusammenbruch« hinweg herstellt, sich teils über die Ideen der Unverbesserlichen und Unbelehrbaren, die vom Wandel nichts verstehen oder ihn übersehen haben, lustig macht. Bei Kriegsgefangenen, die lange, bis 1956 , in sowjetischen Lagern fernab von jedem Kontakt zur Heimat getrennt waren, ist das wohl verständlich.
Über Adenauer, der 1955 nach Moskau reiste und für die Herstellung diplomatischer Beziehungen die Heimkehr der Kriegsgefangenen forderte (über das Lager Friedland kamen sie zurück, entlassen in die Bundesrepublik, ein Meilenstein der Nachkriegsgeschichte, heute natürlich dennoch mit gutem Grund als Episode vergessen), gab es viele Witze. Der für mich schönste handelte von dem letzten Russlandheimkehrer, einem Bayern.
In seinen oberbayerischen Heimatort, ein Dorf bei Bad Reichenhall, kommt der letzte Kriegsgefangene zurück und wird mit Blaskapelle, Trachtenkorps und Aufgebot der örtlichen Honoratioren und der Lokalpresse empfangen. Vorher war er in Bonn beim
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