Someone like you - Dessen, S: Someone like you
entsetzt an. Wurde weiß im Gesicht. Als hätte ich sie geohrfeigt.
Du laberst was von Distanz
, dachte ich.
Da hast du deine Distanz.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sagte fast unhörbar: »Setz dich sofort wieder hin, Halley.«
Doch ich blieb stehen. Überlegte, ob ich hinausrennen sollte, um mich in Macons geheimem Labyrinth aus Pizzerias und Spielotheken, Nebenstraßen und Gassen zu verlieren. Im Aufzug hoch zu seinem Penthouse-Kämmer chen sausen, mich dort für immer verkriechen.
»
Setz
dich«, wiederholte sie, wobei sie an mir vorbei auf den Parkplatz hinausschaute. Sie blinzelte heftig, blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und atmete mehrfach tief durch.
Ich setzte mich, rückte meinen Stuhl wieder näher an den Tisch. Sie tupfte sich mit einer frischen Serviette den Mund ab und winkte den Kellner herbei, der die Rechnung brachte. Sie bezahlte. Wir gingen hinaus zum Auto. |214| Sprachen kein einziges Wort mehr miteinander. Auf der Heimfahrt starrte ich aus dem Fenster auf die Häuser, die an uns vorüberzogen, und dachte an den Grand Canyon. So unendlich tief, weit und unüberwindlich. Wie so vieles jetzt in meinem Leben.
Als wir unsere Auffahrt hochfuhren, stieg Steve vor Scarletts Haus gerade aus seinem Hyundai. Er hatte den unvermeidlichen Blumenstrauß bei sich und trug eines seiner üb lichen , etwas abgetragenen Tweedjacketts mit Flicken an den Ellbogen. Doch dieses Mal hätte mich Scarlett gar nicht erst auf das nächste Zeichen aufmerksam zu machen brauchen, welches die Metamorphose von Steve zu Vlad ankündigte: Stiefel. Und zwar keine normalen Stiefel, sondern klobige, schwere Lederstiefel mit dicken Sohlen und Schnallen, die bestimmt bei jedem Schritt laut klirrten, obwohl das Wagenfenster geschlossen war und ich ihn daher gar nicht hören konnte. Kriegerstiefel, die unter seinen Hosenbeinen hervorlugten und den Eindruck vermittelten, er wäre soeben über die Schädel seiner toten Feinde marschiert. Er winkte uns freundlich zu. Meine Mutter winkte zwar freundlich zurück, aber es war bloß ihr künstliches Nachbarschaftswinken, denn innerlich kochte sie.
Als wir in die Küche traten, hatten wir immer noch keinen Ton zueinander gesagt. Mein Vater stand mit dem Rü cken zu uns und telefonierte. Als er sich zu uns umwandte, sah ich augenblicklich, dass etwas nicht stimmte.
»Moment bitte«, sagte er in den Hörer und legte dann die Hand über die Muschel. »Julie, es geht um deine Mutter.«
Sie stellte ihre Handtasche ab. »Was denn? Was ist passiert?«
|215| »Sie ist bei sich zu Hause gestürzt. Scheint nicht ganz ohne zu sein, Liebes. Als die Nachbarn sie fanden, hatte sie schon eine ganze Zeit lang allein so dagelegen.«
»Sie ist gestürzt?« Meine Mutter sprach mit hoher, bebender Stimme.
»Ein Dr. Robbins ist am Apparat.« Er reichte ihr den Hörer und fügte hinzu: »Ich schwing mich mal ans andere Telefon und erkundige mich, wann der nächste Flug nach Buffalo geht.«
Sie nahm ihm den Hörer aus der Hand und atmete tief durch. Mein Vater drückte sie kurz an sich und lief über den Flur zu ihrem Arbeitszimmer. Ich stand in der offenen Küchentür und hielt den Atem an.
»Hallo, hier spricht Julie Cooke . . . Ja. Ja, mein Mann hat mir erzählt . . . Ich verstehe. Wissen Sie, wann genau das passiert ist? Ja. Ja, sicher.«
Bei jedem Wort, das sie sagte, schaute sie mich an. Schaute mich unverwandt an. Sie merkte es allerdings nicht, sah mich im Grunde gar nicht. Hielt sich nur mit den Augen an mir fest, als würde sie sonst umkippen.
»Ich komme, so schnell ich kann, mein Mann erkundigt sich gerade nach den Flugverbindungen. Hat sie Schmerzen? . . . Selbstverständlich, ja. Sie werden sie also morgen früh um sechs operieren. Ich . . . ich komme einfach, so schnell es geht. Gut. Vielen Dank. Auf Wiedersehen.« Sie legte auf, wandte mir den Rücken zu, blieb einfach so stehen, die Hand auf dem Telefonhörer. Ihr Rücken war angespannt, die Schulterblätter zeichneten sich deutlich ab.
»Deine Großmutter ist gefallen und hat sich ziemlich schwer verletzt«, sagte sie mit leiser Stimme ohne sich umzudrehen. »Sie muss morgen früh operiert werden. Bevor |216| man sie gefunden hat, war sie sehr lang allein.« Beim letzten Satz versagte ihr beinahe die Stimme; als würde sie daran ersticken.
»Wird sie wieder gesund?«, fragte ich. Am anderen Ende des Flurs stellte mein Vater Fragen nach Abflug- und Ankunftszeiten, Economy oder Business Class, Aussichten
Weitere Kostenlose Bücher