Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
rechtzeitig; eine Gestalt erschien genau im Türrahmen. Reflexartig betätigte ich den Abzug, und der Schuss war laut genug, dass ich schon dachte, jetzt werde die ganze Ruine einstürzen. Die schattenartige Gestalt brach zusammen.
Einen Moment lang starrte ich nur zum Eingang hinüber. Allmählich wurde es zur Angewohnheit von mir, System-Bullen umzubringen, und trotzdem lebte ich noch. In New York hatte ich selbst miterlebt, was die Bullen mit Cop-Killern anstellten. Normalerweise präsentierten sie den Leichnam zur Abschreckung, wenn sie mit ihm fertig waren – manchmal befestigten sie daran noch einen warnenden Zettel. Vor ein paar Monaten war ich krank vor Sorge gewesen, weil ich einen SSD-Officer getötet hatte, ohne es zu wollen. Jetzt starrte ich nur teilnahmslos geradeaus und hielt es für wahrscheinlich, dass ich noch ein paar weitere erwischen könnte, bevor mein Schicksal mich schließlich einholte. Was auch immer ich jetzt noch tat, ich war ohnehin für den Rest meines Lebens gezeichnet. Das einzig Gute daran war, dass mein Leben wahrscheinlich nicht mehr lange dauern würde.
Hinter mir hörte ich das charakteristische Scharren von schweren Stiefeln, und so schlagartig, als würde sich eine Sprungfeder entrollen, gehorchte mein Körper mir plötzlich wieder. Auf Händen und Knien kroch ich rückwärts, schnitt mir an dem Schutt die Handflächen auf und starrte zum Eingang hinüber, in dem gerade eben noch ein Cop gestanden hatte.
»Cates!«, schrie irgendwo eine Frauenstimme, die ich nicht kannte. »Colonel Moje lässt grüßen, und er hat eine Nachricht für dich: Du bist nicht weil genug weggelaufen, du Ratte!«
Ich wirbelte ich herum und rollte mich zur Seite, bis ich gegen eine Wand prallte; dann blieb ich reglos liegen. Scheiße! Moje hatte bereits mein Todesurteil verkündet. Jeder auf der ganzen Scheiß-Welt wollte Avery Gates tot sehen, und vielleicht war es nach siebenundzwanzig Jahren ja auch wirklich an der Zeit. Ich erinnerte mich noch an meinen Vater, wie er von der Arbeit nach Hause kam – er hatte einen richtigen Job gehabt –, und wie er von den Leuten in unserem Haus begrüßt wurde: Richtig mit Handschlag, und alle hatten gelächelt. Ich erinnerte mich an die Welt von früher und wusste genau, dass es sich nicht lohnte, für diese Welt hierin kämpfen.
Während eines einzigen Herzschlags ging mir das alles durch den Kopf. Dann war ich wieder ganz alleine, lag auf dem Boden, hielt mich bedeckt, verlor rapide den Vorteil, den es mir verschafft hatte, dass meine Augen sich an die Sichtverhältnisse gewöhnt hatten. Und dann dachte ich: Ich habe schon ein paar Cops umgebracht, jetzt kann ich genau so gut so viele umbringen, wie ich will. Scheiß drauf, ich werde nicht mehr weglaufen ! Jetzt sollten die Cops herausfinden, zu was ich wirklich in der Lage war.
Ich schloss die Augen und atmete tief – und lautlos – durch, um mich ein wenig zu beruhigen. Wenn ich ein System-Bulle wäre, leistungsfähig, arrogant, kerngesund und bestens ausgerüstet: Wie würde ich versuchen, Avery Gates aufzuspüren? Mit geschlossenen Augen lauschte ich. Da – oberhalb meiner linken Schulter: Das Knarren eines Lederstiefels. Ich stellte mir den ganzen Raum vor: Zu meiner Linken drei Fenster, matt schien das Tageslicht auf einen kleinen Schutthaufen, und ich malte mir aus, wie der Cop dort stand – am dritten Fenster. Er spähte von außen in den Raum hinein.
Dann – der Geruch von Rauch, sehr schwach, zu meiner Rechten. Ich sah den Cop: Er kam durch einen anderen Eingang herein. Ich konzentrierte mich und hörte leise Schritte. Zu leise für einen Mann – das hier war eine Frau. Sie schlich an der Wand entlang, tastete sich durch das Halbdunkel, und ich konnte mir einbilden, die Zigarette zu sehen, die schlaff von ihrer Lippe herabging. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte sie, in der Dunkelheit irgendetwas zu erkennen.
Einen Augenblick lang stellte ich mir nur vor, welchen Weg sie durch diesen Raum nehmen würden: In vorschriftsmäßigen Standard-Suchmustern schlichen die Cops um mich herum, jeder achtete sorgsam darauf, nicht in die Schusslinie des anderen zu geraten; lautlos lauschten sie dem Datenstrom, den der Schweber in der Luft ihnen schickte – und ebenso all ihren Kollegen, die dieses Territorium hier durchsuchten. Ich wusste genau: Wenn ich jetzt irgendeinen Laut von mir gab oder irgendein Geräusch machte, blieben mir nur noch Sekunden, bis sie mich über den Haufen schossen. Ich
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