Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
blickte auf sie hinab. »Die machen die gleichen Fehler wie wir, und sie sind verdammt arrogant.« Ich trat die Waffe der Frau fort und versuchte währenddessen, wieder zu Atem zu kommen. »Dich lasse ich gehen«, sagte ich. »Erzähl’s ihnen! Erzähl dem ganzen Scheiß-SSD, dass Avery Cates jetzt endgültig durchgeknallt ist! Sag ihnen, dass es nichts gibt, das sie mir bieten könnten. Sag ihnen, ich werde diese Welt auseinandernehmen, Stein für Stein, Cop für Cop. Sag ihnen, ich glaube nicht, dass ich dafür so lange brauchen werde, wie sie vielleicht denken. Sag ihnen, ich glaube nicht, dass sie es wagen, mich aufzuhalten.«
Einen Moment standen wir alle nur dort; nichts bewegte sich, nicht einmal ein Windstoß. Dann versetzte Belling der Frau einen Tritt in die Seite.
»Geh!«, sagte er nur.
Ich blickte mich um. London stand in Flammen, der Lärm zahlloser Ausschreitungen lag in der Luft. Wir würden wirklich keine Schwierigkeiten haben, die Stadt zu verlassen.
Wir schauten zu, wie die Sturmtrupplerin unter Schmerzen wieder auf die Beine kam, uns einen Moment anstarrte und sich dann vorsichtig zurückzog.
»Mach dir keine Sorgen«, rief Belling ihr hinterher. »Dich bringen wir später um.«
Epilog
Jetzt ist die ganze gottverdammte Welt
gegen dich
00101
›Pickering’s‹ war völlig überfüllt. Es war eine trostlose Nacht im zerfallenden New York; der dichte Regen schien die geborstenen Steine der alten Gebäude noch weiter abzunutzen und den bröckeligen Asphalt der müllübersäten Straßen weiter aufreißen zu lassen. Die Stammgäste waren recht früh eingetroffen, um Gin zu trinken, von dem man blind werden konnte, um gestohlene Zigaretten zu rauchen und ihre Sitzplätze gegen den unablässigen Strom der Neuankömmlinge zu verteidigen. Über die wackeligen Holzstühle in ›Pickering’s‹ war schon so mancher Streit entbrannt, und bei derartigen Revierkämpfen hatten sich Leute üble Schnittwunden zugezogen oder waren fast ums Leben gekommen. Voll war es in der Kneipe schon immer gewesen, vor allem in derart schlimmen Nächten, doch innerhalb des letzten Jahres war es immer weiter ausgeufert, und allmählich überstieg es Picks Möglichkeiten, alles unter Kontrolle zu halten. So viele Leute strömten Abend für Abend herein, dass fast immer irgendwo eine Schlägerei stattfand, und Pick erreichte langsam den Punkt, an dem er nicht mehr in der Lage sein würde, alle Brecher mit Schmiergeldern zu verscheuchen, die hier auftauchten und äußerst misstrauisch waren, weil sich derart viele Talente aus der Unterwelt am gleichen Ort zum Trinken versammelten.
Der junge Bursche war höchstens siebzehn Jahre alt. Hochgewachsen, hager, mit schlechten Zähnen und langen, zierlichen Fingern, betrat er unsicher die Bar und blickte sich verstohlen um. Sein fettiges schwarzes Haar klebte ihm an der Stirn, seine blasse, unreine Haut schimmerte im Schein der schwachen Lampen von ›Pickering’s‹. Unauffällig begutachtete die Meute ihn, und fast alle kamen zur gleichen, wenig schmeichelhaften Schlussfolgerung: Amateur.
Der Bursche versuchte es gar nicht erst bei einem der Sitzplätze. Ein Mal blickte er sich kurz um, rückte mit einem Schulterzucken seinen billigen, fadenscheinigen Mantel zurecht und ging dann zuversichtlich zum hinteren Teil des Raums, in dem eine Metall-Sicherheitstür zu Picks Büro führte. Ein großer, immens muskulöser Mann stand davor, die Arme vor der Brust verschränkt, und die illegal erweiterten Muskelpakete zuckten wie von alleine.
Auf halbem Weg streckte sich eine Hand, versteckt in einem Lederhandschuh, blitzschnell vor und packte den jungen Burschen am Arm. Der Mann, zu dem diese Hand gehörte, war ein untersetzter Mann mit auffallend grauer Haut, dessen Gesicht von einem ganzen Labyrinth geplatzter Blutgefäße geziert war. Eine unregelmäßige, hässliche Narbe reichte von seiner Kopfhaut bis zum Hals. Er leckte sich über die Lippen und betrachtete den Burschen prüfend von oben bis unten, bevor er den Mund öffnete.
»Ich sag dir was, Bürschchen«, erklärte er mit schwerer Zunge recht undeutlich, »gib mir alles, was du bei dir has’, dann lass ich dich hier auch wieder raus – lebendig.«
Rings um ihn war leises, nicht sonderlich begeistertes Lachen zu hören – die Zuschauer waren interessiert daran, wie der Bursche wohl reagieren würde, doch allzu viel Hoffnung machte sich hier niemand.
»Lass los«, gab der Bursche zurück und blickte auf den
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