Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
Kieths Versteck.
Es war ein kleines Zimmer, doch die gesamte gegenüberliegende Wand war von zahllosen elektronischen Gerätschaften bedeckt. Monitore zeigten sechs verschiedene Kamerawinkel: Es fing mit der Charlton Street an und endete schließlich genau vor seiner Tür. Leise summten Kästchen ohne jeden erkennbaren Sinn oder Zweck; sie waren über rote und schwarze Kabel miteinander verbunden. In einer Ecke des Raumes stand eine alte Pritsche mit einer nackten, dünnen Matratze. Ansonsten war dieser Raum leer. Überall war das Summen elektromagnetischer Strahlung zu spüren: Echter Black Noise, der meinen Körper durchfuhr, Zellen mutieren ließ und dafür sorgte, dass sich die Härchen an meinen Armen aufstellten. Diese Scheiß-Techies: Sie wussten zwar immer alles, mussten aber gleichzeitig ständig gegen die Gehirntumoren ankämpfen, die dieser Black Noise erzeugte.
»Es heißt, du hast einen Job für Ty, ne?«, sagte Kieth fröhlich, drückte einen Knopf nach dem anderen und gestikulierte vor seinen Geräten, während er einen monochromen Schwarz/ Grün-Monitor anstarrte, auf dem Zeile um Zeile der Code vorbeirauschte – geradewegs an Tys beeindruckender Nase vorbei. »Ty hält sich natürlich versteckt, aber das weißt du ja, ne? Und er ist arm. Der arme Ty braucht dringend Geld. Vielleicht können wir uns ja auf was einigen.«
Ich beobachtete ihn nur kurz. »Machst du das immer so?«
»Häh?«, fragte er, ohne aufzublicken. »Was denn?«
»Redest du immer so über dich selbst?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich schon. Ich denke gar nicht darüber nach. Bin viel alleine.«
»Hmm.« Ich dachte darüber nach, wie es wohl sein würde, diesen Typen wochen- oder monatelang am Hals zu haben. »Wovor versteckst du dich denn?«
»Vor den Bullen«, antwortete er unumwunden. Er richtete seine riesige Nase auf mich. »Willst du die ganzen Bullen sehen, die auf der Straße stehen?«
Ich legte die Stirn in Falten. »Häh?«
Er bedeutete mir, an einen kleinen, uralten Monitor heranzutreten, an den man sich ganz nah heranbeugen und dann mit den Händen sämtliches einfallendes Licht abschirmen musste, um das matte Bild überhaupt erkennen zu können. »Schauen Sie doch mal, Mr Gates!«
Ich kam der Aufforderung nach und beugte mich vor. Allmählich konnte ich ein körniges Schwarzweiß-Abbild der Charlton Street erkennen. Die Qualität war wirklich mies, ich konnte nur ein paar grobe Details ausmachen. Die meisten Leute auf der Straße wurden in einem matten, schlammigen Grau dargestellt, doch drei – zwei Männer, die nebeneinander vor einer Mauer standen, dazu eine Frau, die in einem Straßencafe saß und eine Zigarette rauchte – waren von einer giftgrünen Aura umgeben.
»Die Uplinks des SSD arbeiten auf einer bestimmten Frequenz, also geben sie auch eine Signatur ab, Kumpel«, erklärte Kieth fröhlich. »Diese Typen leuchten im Dunkeln, wenn man weiß, wonach man schauen muss. Ich glaube, die drei da unten wissen genau, dass ich hier bin. Die hängen schon seit einigen Tagen hier rum.«
Ich richtete mich auf und lachte leise. »Kieth, in dieser Straße lebt bestimmt ein ganzes Dutzend Leute auf der Flucht. Warum glaubst du, dass die hinter dir her sind?«
Er grinste. »Hast natürlich recht, Ty ist unbedeutend – ein echter Niemand. Natürlich hatte er überhaupt keinen Grund, aus Europa zu flüchten, nein nein, ganz bestimmt nicht! Nur wichtige Scheißkerle wie Avery Gates werden einfach so in SSD-Schweber eingeladen wie irgendwelche Typen vom Hochadel, kommen dann ein paar Tage später wieder zurück und haben immer noch alle Finger und alle Zehen.«
Hastig streckte ich die Hand aus und packte Kieth am Hals, ganz knapp unterhalb des Adamsapfels. Dieser Adamsapfel war wirklich groß und stellte eine gewaltige Versuchung dar -derartige Scheiße übt man nun mal, wenn man in diesem Geschäft ist. So könnte ich ganz leicht dafür sorgen, dass er aufhörte zu reden – oder zu atmen. Mühelos. Die Augen traten dem kleinen Mann fast aus den Höhlen, und plötzlich war im ganzen Zimmer nichts anderes mehr zu hören als das Summen der Geräte. Techies: Die vergaßen wirklich ständig, dass sie selbst immer noch aus Fleisch und Blut bestanden.
»Jetzt hör mir genau zu, du Arschloch«, sagte ich leichthin. »Ich kann jetzt einfach zehn Minuten lang warten, und dann bist du tot. Okay? Ich kann auch meine Hand ein bisschen bewegen und dir die Luftröhre eindrücken, dann geht’s noch
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