Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
wir.«
»Woher kennen Sie Pick eigentlich?«, fragte ich, bloß um höflich zu sein. Bei solch alten Knackern wirkte Höflichkeit manchmal echte Wunder. Bei jedem, der schon vor der Vereinigung alt gewesen war, kam man mit einem gezielt eingestreuten ›Bitte‹ oder ›Danke‹ oder so einem Scheiß echt weit.
»Aus der Hochschule«, sagten sie gleichzeitig.
»Wir haben zusammen mit ihm an einem Regierungsprojekt gearbeitet – damals, als die Welt noch nicht verrückt geworden war«, fuhr die Erste fort.
»Gentechnik«, setzte die Zweite hinzu. »Es war fantastisch, tatsächlich mit ihm zusammenarbeiten zu können.«
Ich versuchte, mir diese beiden als Wissenschaftler vorzustellen. Die Vorstellung belustigte mich: Wie diese beiden alten Schachteln vor irgendetwas standen, sich nachdenklich am Kinn kratzten und dabei weiße Kittel oder so was trugen. Aber es ergab durchaus Sinn: Viele derjenigen, die nach der Vereinigung zu den besten, erfolgreichsten Gaunern geworden waren, hatten wirklich was auf dem Kasten, waren Wissenschaftler und Ökonomen und all so’n Scheiß. Die Vereinigung hatte einigen Leuten sonderbar mitgespielt – Leuten, bei denen man das wirklich nicht erwartet hätte. Meinen Vater hatte sie das Leben gekostet, und der war mir als Kind immer hart wie Stahl vorgekommen. Diese seltsamen Zwillinge hier hatte sie zu Dieben gemacht – und auch noch zu sehr erfolgreichen. Nachdem ich jetzt zwanzig Jahre lang auf den Straßen von New York gelebt hatte, fiel es mir schwer, mir die beiden als brillante Akademikerinnen vorzustellen. Andererseits hatte ich schon ganz andere Dinge erlebt.
»Der Scheiß-Einheitsrat hat versucht, uns alle anzuwerben«, sagte die Erste, grinste breit und entblößte dabei zwei Reihen geradezu schockierend gesunder Zähne: gelblich, aber kräftig und ohne jeden erkennbaren Schaden. Irgendwie waren diese Zähne ein perfektes Sinnbild dieser beiden Frauen. »Wir haben damals oben im Norden in einer Kommune gelebt – erinnerst du dich noch daran?«
Die zweite Frau nickte, den Blick fest auf mich gerichtet. »Na, klar doch – ›Freedom Gardens‹ hieß die. Überall liefen glückliche Kinder herum, samt und sonders splitternackt.«
»Da oben haben wir zusammen mit Pick gelebt und einfach zugeschaut, wie das alles abgelaufen ist, nachdem sämtliche Hochschulen geschlossen wurden und man uns alle Forschungsgelder gestrichen hat. Und dann hat der ER ein paar frischgebackene Unterstaatssekretäre zu uns geschickt, die uns allen neue Jobs anbieten sollten. Es ging um irgendein neues Projekt, an dem die alle gearbeitet haben, gleich nachdem der ER gegründet worden war – irgendetwas ganz, ganz Geheimes. Richtig darüber gesprochen wurde nie.«
Die beiden grinsten. »Wir haben denen gesagt, wohin sie sich ihre Jobs stecken können!«
Sie blickten einander an, ohne die Köpfe zu bewegen, einfach aus dem Augenwinkel. »Ach Scheiße«, sagte die Erste dann und seufzte. »Einen Monat später haben sie dann die Farm überfallen. Pick hatte schon ein Schlupfloch vorbereitet, und so konnten wir entkommen, aber die Gebäude haben sie bei dieser ›Razzia‹ sämtlich abgerissen.«
»Und seitdem haben wir dafür gesorgt, dass wir in keinerlei Akten auch nur erwähnt werden.«
»Mit anderen Worten, Jungchen: Das mit Pick und uns, das geht schon ewig so. Und das ist auch der einzige Grund, weshalb wir überhaupt mit dir reden, klar?«
»Also, sieh zu, dass es …«
»… ein bisschen interessanter wird. Rasch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ihr redet mit mir, weil euch das wirklich interessiert. Seht euch doch nur mal selber an! Ihr sitzt hier rum und vergammelt langsam vor euch hin und verkauft dabei genau den Scheiß, den ihr früher selbst geklaut habt.« Ich grinste. »Jetzt kommt schon! Ihr kennt mich doch. Ich wisst genau, dass ich meine Zeit nicht verschwende.«
Die beiden blickten einander an. Ich glaubte fast das Grundrauschen ihrer wortlosen Kommunikation zu hören. Dann schauten die beiden wieder zu mir hinüber, und irgendwie war dieser Anblick richtig unheimlich.
»Den Namen haben wir schon mal gehört, Mr Cates«, sagte die Erste. »Nennen Sie mich Milton.«
Ich blinzelte der anderen zu. »Also, Tanner: dann lass mal hören.«
Vielleicht kauften sie mir ja mein Auftreten an sich nicht ganz ab, aber mit dem Job packte ich sie schließlich doch noch. Als ich mit meiner Kurzfassung des ganzen Schlamassels fertig war – im Prinzip fasste ich einen Job, der Monate
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