Sommer der Entscheidung
Glücklich klang sie dabei nicht. Das wusste sie, aber immerhin hatte sie etwas gesagt.
Nancy nickte nur, die Arme immer noch verschränkt.
Dieses E-Book wurde von "Lehmanns Media GmbH" generiert. ©2012
8. KAPITEL
H elen besann sich, dass es besser war, sich nicht bei ihrer Mutter zu beschweren. Delilah Stoneburner bewegte sich schneller als der beste Spürhund ihres Ehemannes Cuddy, und es machte sie rasend, wenn sie ihr Tempo aus irgendwelchen Gründen verringern musste. Wie bei den anderen Frauen, die auf der Fitch Crossing Road lebten, musste Delilah im Laufe der Jahre immer mehr auf dem Hof arbeiten. Dafür wurde aber auch ihr Arbeitstempo schneller, um den Mehraufwand aufzufangen. Da Cuddy in einem Geschäft für Futtermittel den Job bekommen hatte, Getreidesäcke zu entladen, hatte Delilah seine Aufgaben auf der Farm mit übernommen. Natürlich blieb auch die übliche Hausarbeit an ihr hängen. Helens Brüder Tom und Obediah – kurz Obed – halfen mit, genau wie die zwölfjährige Helen. Aber auch gemeinsam konnten sie die anfallende Arbeit nicht in der kurzen Zeit bewältigen.
Obwohl sie wusste, dass ihre Mama es nicht gern sah, wenn sie ihre Arbeit unterbrach, folgte sie Delilah hinaus in den Hühnerhof. „Die beiden dort, in der Ecke.“ Delilah deutete auf zwei Hühner, die in der westlichen Ecke des Hühnerhofes nach Insekten suchten. Tom, vierzehn Jahre alt und fast schon so groß wie Cuddy, sah aus, als wolle er protestieren, aber er konnte sich noch einmal bremsen. Vielleicht gefiel es ihm nicht, die Hälse der Hühner umzudrehen, so, wie es ihm seine Mutter beigebracht hatte, aber es war nun mal seine Aufgabe. Außerdem hieß das, dass es heute Hühnchen zum Abendessen gab, und das war in letzter Zeit selten genug geschehen.
Helen wollte nicht dabei zusehen, wie Tom die Hühner tötete. Sie fütterte die Tiere jeden Tag, und obwohl sie wusste, dass es nicht gut war, hatte sie ihnen heimlich Namen gegeben. Sie konnte sich sicher sein, dass Löwenzahn und Flieder heute Abend mit Soße serviert werden würden.
„Mama.“ Helen drehte sich um, um nicht mit ansehen zu müssen, wie Tom die beiden Hühner in die Ecke zu drängen versuchte. „Mama, ich will auch lernen, wie man Quilts näht, genau wie die anderen. Ich will nicht auf die Babys aufpassen. Ich kann genauso schnell und gerade nähen wie …“
„Bist du immer noch hier?“ Delilah sah auf ihre Tochter hinab und runzelte die Stirn, als würde ihr alles an Helen, von den glänzenden dunklen Haaren bis zu den Zehenspitzen, missfallen. „Redest du immer noch dagegen an?“
„Mama, mehr will ich doch gar nicht. Ich helfe mit dem Abendessen, wenn euer Treffen vorbei ist, und ich wasche auch ganz alleine ab. Ich bringe Tante Sarahs Baby ins Bett und bleibe die ganze Nacht mit den anderen Kindern im Zimmer, wenn du willst. Aber, Mama …“
Delilah verlangsamte tatsächlich ihren Schritt. „Redest du etwa immer noch dagegen an? Guckst du immer noch traurig mit deinen großen braunen Augen, um mich zu überreden?“
Helen wurde still.
Delilahs Stimme klang nun sanfter. „Lenny, ich habe es dir doch schon gesagt. Wir brauchen jemanden, der auf die Kleinen aufpasst. Bald wird eines der anderen Mädchen alt genug sein, dass sie das übernehmen kann. Sie helfen dir doch auch schon. Aber heute musst du dich noch darum kümmern. Verstehst du das?“
Helen nickte. „Vielleicht nur ein bisschen? Nur eine Weile?“
Delilah lachte. „Vielleicht. Aber du gehst jetzt. Du musst noch viele Sachen erledigen, bevor die anderen ankommen.“
Helen versuchte, das Gequietsche aus der Nähe des Hühnerhofeszu ignorieren, und trollte sich den kleinen Weg zum Teich hinunter. Ermutigt hob sie den Deckel der großen Holzkiste, die ihr Vater direkt am Ufer des Teiches gebaut hatte. Sie hob eine Schaufel Mais heraus und verstreute sie für die Gänse und Enten und schob noch eine zweite Ladung hinterher. An der Wasserkante suchte sie schnell nach den Küken, die letzte Woche geschlüpft waren. Entweder waren sie erwischt worden, oder sie hatten sich in dem hohen Gras versteckt, das am Ufer wuchs. Sie hoffte auf Letzteres.
Während der nächsten Stunde erledigte sie ihre Hausarbeit. Delilah schätze es, wenn ein Haus sauber war, und auch wenn sie hundert andere Dinge zu erledigen hatte, vernachlässigte sie nie den Hausputz. Teppiche wurden ausgeklopft. Die Böden wurden gebohnert, wann immer es nötig war, und alle zwei Monate wurden alle Holzmöbel mit
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