Sommer der Entscheidung
Als sie endlich ihren ganzen Mut zusammengenommen hatten und wieder zu Hause ankamen, waren sie mit Schwielen übersät. Und das war auch alles, was sie anhatten, bis auf die Ranken, mit denen sie ihre Intimitäten bedeckt hatten.“
Nancy lachte. „Du warst ein furchtbares kleines Mädchen.“
„Umso mehr konnte sie dir vererben“, fügte Tessa hinzu. Schweigend aßen sie für eine Weile. Helen hätte sich fast einen Zahn an einem Olivenkern abgebrochen – wozu hatte man sie in den Dingern dringelassen? –, aber sie war überrascht, wie gut alles schmeckte. Sogar die Brötchen schmeckten, als seien sie frisch vom Bäcker, obwohl Nancy sie tiefgefroren gekauft und im Ofen aufgewärmt hatte.
„Na, was habt ihr heute so gemacht?“, fragte sie, als sie der Salat so weit gesättigt hatte, dass eine Konversation wiedermöglich war. Sie sah, dass ihre Tochter und ihre Enkelin sich ansahen. Sie wusste, sie wollten ihre Frage nicht beantworten. Helen dachte sich, dass sie bestimmt fürchteten, dass sie ärgerlich würde, wenn sie erfuhr, was sie heute weggeworfen hatten.
„Ich habe heute die neuen Vorhänge im Wohnzimmer aufgehängt“, begann Nancy. Helen hatte sie schon gesehen. Es war nicht zu glauben, dass es ihr altes Wohnzimmer war. Nancy hatte sogar die Möbel umgestellt, so dass man sich gegenübersaß und sich direkt ansehen konnte.
„Und du?“ Sie fragte Tessa.
„Ich war oben auf dem Dachboden, bevor es zu heiß wurde, und dann habe ich mit ein bisschen Papierkram angefangen.“
Helen lutschte vorsichtig an einer Olive. „Was für Papierkram?“
„Von allem ein bisschen.“
Das war das Stichwort. Helen wusste, es bedeutete, „Ich habe alles weggeworfen, was mir in die Hände kam.“
„Nur dass du mir meinen Schreibtisch im Esszimmer in Ruhe lässt“, warnte Helen sie. „Ich möchte nicht, dass du da irgendetwas anfasst.“
Niemand sprach.
Helen sah auf. Ein Runzeln grub ihre Falten noch tiefer in die Stirn. „Das ist mein voller Ernst“, sagte sie etwas lauter. „Die Sachen, die dort liegen, gehen niemanden etwas an.“
Tessa seufzte und legte ihre Gabel neben den Teller. „Gram, genau die Sachen meine ich. Aber ich verspreche dir, ich habe nichts weggeworfen außer deinen alten Postwurfsendungen.“
Obwohl es noch immer heiß war, fror Helen. „Was für Postwurfsendungen?“
„Ach weißt du, Werbung, Gutscheine, die schon vor einemMonat ausgelaufen sind, Angebote, die zu schön sind, um wahr zu sein. Müll.“
Helen war auf ihren Füßen, bevor Tessa den Satz zu Ende gesprochen hatte. Sie eilte aus dem Zimmer. Es tat ihr leid, dass sie nicht mehr schneller laufen konnte. Wenn man sie fragte, hatte Älterwerden keinen einzigen Vorteil.
Im Esszimmer – wo seit Jahren nicht mehr gegessen wurde – war der alte Sekretär ordentlich aufgeräumt. Sie wusste nicht, wann Tessa ihn bearbeitet hatte, aber sie nahm an, dass es nach Cissys Besuch gewesen sein musste, als sie in ihrem Zimmer nähte. Sie ging panisch durch die kleinen Fächer. Rechnungen in einem, aktuelle Coupons im anderen, ein Serienbrief mit einer Einladung zum Jahrestreffen von ihrem Pastor im dritten. Sie zog die obere Schublade auf, in der sich fein säuberliche Stapel von Notizbüchern und Rezepten sowie von durchgestrichenen Schecks aneinanderreihten. Sie öffnete die zweite Schublade und fand Schreibpapier, Stifte und anderes Büromaterial.
„Gram?“
Helen schlug die dritte, leere Schublade zu und sah ihre Enkelin an. „Was hast du mit ihnen gemacht?“
Tessa sah müde aus. „Mit was?“
Helen antwortete ihr nicht. Sie ging an ihr vorbei zur Haustür. Sie wusste, was Tessa mit dem „Müll“ getan hatte. Sie hatte ihn auf den Pferdeanhänger geworfen. Alles, was Helen zu tun hatte, war, ihn zu finden, aus dem anderen Müll herauszufischen, ihn wieder zu verstauen und einzuschließen.
Tessa holte sie ein und fasste sie am Arm. „Was ist los? Was suchst du?“
Helen war zu aufgebracht, um ihr zu antworten. Sie befreite ihren Arm und ging die Verandastufen hinunter. Sie war auf dem halben Weg zum Anhänger, als sie feststellte, dass er nicht mehr dort war, wo er vorher gestanden hatte.
„Wo ist der Anhänger? Was habt ihr mit ihm gemacht?“
„Zeke hat ihn abgeholt. Er sagte, er würde damit zur Mülldeponie fahren und ihn morgen früh wieder zurückbringen.“
Helen war sich sicher, dass er den Anhänger geholt hatte, als sie oben in ihrem Zimmer gewesen war. „Dann setzt du dich einfach in dein
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