Sommer der Entscheidung
sie hatte die Haare zurückgebunden. Sie sah lässig und gleichzeitig elegant aus, als ob ihre Welt ganz und gar nicht von dem kommenden Gespräch mit Avery Lutz abhinge.
„Vielleicht werde ich davon wach.“ Er sah ihr zu, wie sie den Kaffee einschenkte. Unbewusst schwankte sie ein wenig, beugte ihr Handgelenk, hielt mit der anderen Hand den Porzellanbecher fest. Mack hatte die Art und Weise immer genossen,wie sie die Aufgaben im Haus gewöhnlich erledigte – als ob sie tanze. Plötzlich machte ihn das Versprechen auf körperliche Befriedigung, das er in diesen Bewegungen sah, traurig.
Sie goss Milch in seinen Becher und schob ihn ihm hin. „Du hast kaum noch Kaffee.“
„Ich habe kaum noch irgendetwas. Meistens habe ich außerhalb gegessen.“
„Ich nehme an, es lohnt sich nicht, für eine Person zu kochen.“
Das Kochen machte ihm nichts aus. Alleine zu essen war für ihn unangenehm. Tessa war es gelungen, jede Erinnerung an Kayley aus diesem Haus zu verbannen, aber es war ihr nicht gelungen, die Erinnerung an ihr gemeinsames Leben auszulöschen.
„Wie ist es dir ergangen, Mack?“, fragte sie, indem sie sich auf einen Barhocker setzte, der an der Theke in der Mitte des Raumes stand. Sie stellte ihre Füße auf die untere Leiste.
„Viel zu tun.“
„Neue Aufträge?“
„Mehr, als wir bewältigen können. Wir sehen uns nach einem weiteren Partner um.“
„Das ist gut.“
„Gut für uns, aber nicht für die Leute, die unsere Hilfe brauchen.“
Sie trank ihren Kaffee. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Er fragte sich, wie sich eine Unterhaltung mit seiner Ehefrau anfühlte, die nicht mit Spannung aufgeladen war. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
„Wie läufts in Fitch Crossing?“, fragte er, um die Stille zu durchbrechen.
„Wir haben noch eine Dose mit Geld darin gefunden. Gram hat sich sehr gefreut. Es ist fast so, als hätte jemandanderes das Geld dort versteckt und sie hätte es zufällig ausgegraben. Manchmal denke ich, sie versucht zu vergessen, dass es ihr Geld war, damit sie mehr Spaß daran hat, zu suchen.“
Ihm fiel auf, dass er in drei Tagen das Kalenderblatt umdrehen musste. Ein Monat war vergangen, seitdem sie nach Toms Brook gezogen war. Und dennoch fiel ihnen so wenig zu sagen ein. „Planst du, auch im August dazubleiben?“
Sie hob die Schultern ein wenig. „Es gibt immer noch so viel zu tun. Wenn sie das Haus verlässt und mit Mom nach Richmond zieht, muss es so weit sein, dass wir es verkaufen können. Falls sie dort bleibt, müssen wir sicherstellen, dass das Haus in gutem Zustand ist. Und wir müssen eine Haushaltshilfe für sie finden. Sie kommt alleine einfach nicht mehr klar.“
„Das wird ihr nicht gefallen.“
„Oh, das weiß ich auch. Sie macht uns unmissverständlich klar, dass keine Alternative gut genug für sie ist.“
Er lehnte sich gegen die Theke. Zwischen ihnen war eine Armlänge Platz. „Tessa, wegen des Frühstücks gleich … Avery hat mir schon zu verstehen gegeben, dass wir uns nicht zu große Hoffnungen machen sollen. Er will gern mit uns reden, aber er klang nicht sehr aufmunternd.“
Zum ersten Mal, seitdem sie angekommen war, zeigte sich in ihren Augen eine Gefühlsregung. „Wie können sie zulassen, dass das Monster noch ein weiteres Kind tötet?“
Er sah keinen Sinn darin, auf ihre Frage zu antworten. Was sollte er ihr auch sagen? Der Staat Virginia war bekannt dafür, dass dort Vergehen hart bestraft wurden. In Virginia wurden mehr Kriminelle zum Tode verurteilt als irgendwo anders in den Vereinigten Staaten, mit Ausnahme von Texas. Mütter gegen Alkohol am Steuer lobten die Verwaltung für ihren rigorosen Umgang mit betrunkenen Autofahrern, aber es gabvermutlich keinen Staat, der Leuten wie Robert Owens nicht eine zweite Chance geben würde. In jedem Fall war er ein Gefängnisinsasse gewesen, der mit gutem Beispiel voranging: Er nahm an seinem Wiedereingliederungsprogramm enthusiastisch und engagiert teil. Mack hatte die Hälfte seiner Karriere damit zugebracht, Männern und Frauen, die sich nicht annähernd so viel Mühe gaben, Gerechtigkeit zuteilwerden zu lassen.
„Erzähl mir nicht, du stimmst dieser Entscheidung zu“, sagte Tessa, als er ihr nicht antwortete.
„Tessa, wenn es nach mir ginge, würde ich ihn zu lebenslänglich und noch mehr verurteilen. Aber das sage ich als Vater, nicht als Justizbeamter.“
„Wird Richter Lutz dir zuhören? Wird er irgendetwas annehmen, was wir ihm zu sagen haben? Soll ich
Weitere Kostenlose Bücher