Sommer der Liebe
ziehen wollte. Diese Frau war als Klischee zwar sehr amüsant, aber nicht sympathisch. Sian konnte sich nicht vorstellen, dass sie irgendwann Freundinnen würden. Sie dachte an Jody und daran, wie anders die junge Mutter war. Vielleicht war ein Dorf doch eine Miniatur-Stadt, mit der gleichen Mischung von Leuten und Meinungen, nur dass man die Leute, mit denen man nicht übereinstimmte, schneller erkannte, und es schwerer war, ihnen aus dem Weg zu gehen. In einem Dorf lebte man manchmal wie unter einem Mikroskop. Fiona war die gute Seite der Medaille, Melissa Doppelname die schlechte.
Melissa saß eine Weile schweigend da und schien darauf zu warten, dass Sian die Unterhaltung weiterführte. Schließlich stand sie auf. »Ich denke, ich gehe dann besser. Es war nett, Sie kennenzulernen.« Sie zögerte. »Oder würden Sie mir vielleicht noch kurz das Haus zeigen? Ich würde mir hier in der Gegend gern etwas kaufen, und dieses Objekt würde mir ganz gut gefallen.«
»Aber es ist vermietet. Ich wohne hier.« Sian spürte erneut Wut in sich aufsteigen.
»Ich bin sicher, dass Luella ein großzügiges Angebot von einem bar zahlenden Käufer nicht ausschlagen wird. Schließlich lebt sie jetzt in Spanien, oder nicht?«
»In Frankreich. Und nein, ich kann Ihnen das Haus nicht zeigen.« Sian war für ihre Verhältnisse ungewöhnlich vehement. »Ich habe noch nicht alles ausgepackt, deshalb herrscht fast überall Chaos. Außerdem wird es Zeit, dass Rory sein Essen bekommt – er kann sehr knatschig werden, wenn er hungrig ist.« Sian fühlte sich schlecht, weil sie ihren Sohn als Ausrede benutzte, doch es war wirklich fast Essenszeit für ihn, und sie war inzwischen zu allem bereit, um diese Besucherin loszuwerden.
»Oh.« Melissa schien ein bisschen überrascht über die Abfuhr zu sein. »Dann ein anderes Mal?«
Sian lächelte und zuckte mit den Schultern, weil sie hoffte, dass es kein anderes Mal geben würde. Sie fragte sich, wie sie Melissa davon abhalten konnte, das zu kaufen, was sie selbst inzwischen als ihr Zuhause betrachtete. Sian konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Frau bisher schon viel verwehrt worden war, und sie überlegte, ob sie Fiona anrufen und sie fragen sollte, ob Luella wirklich versucht sein würde, ein Angebot von einem zahlungskräftigen Käufer anzunehmen. Aber dann verwarf sie den Gedanken. Fionas hatte morgen ihre Verabredung, und Sian wollte sie nicht von den Vorbereitungen ablenken.
Nachdem sie ihren Gast verabschiedet hatte, ging sie zu Rory in den Garten hinaus. Ihr Blick fiel auf die Erdbeerpflanzen, und sie fragte sich plötzlich, ob sie sie wachsen und die Früchte reifen sehen würde. Sian seufzte sehnsüchtig und streckte Rory die Hand entgegen. »Komm, Schatz, wir gießen die Erdbeeren, und dann wird es Zeit fürs Abendessen.« Danach gingen sie ins Haus.
Nachdem Rory satt war, duschte Sian kurz und zog sich ein Sommerkleid an. Es war alt und ein bisschen verblichen, aber eines ihrer Lieblingsstücke. Mit ein bisschen Schmuck und Make-up und ohne ihre Gartenschuhe sah sie darin nicht schlecht aus. Sie wollte etwas Schönes für Richard kochen. Er hatte gesagt, er habe das Hotelessen satt und freue sich auf selbst gekochte Mahlzeiten. Deshalb bereitete sie alles für einen Shepherd’s Pie vor. Rory sah derweil ein wenig fern.
Beim Zwiebelschneiden und Sellerie- und Karottenputzen wanderten Sians Gedanken zu Richard. Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen – er war jetzt fast drei Wochen auf Geschäftsreise gewesen. Das war noch eine Sache, die sie an Richard mochte: Er war viel unterwegs, was bedeutete, dass sie ihr Leben leben und sich immer auf seine Heimkehr freuen konnte. Keiner von ihnen ging dem anderen auf die Nerven, und sie hatten sich bei ihren Treffen stets viel zu erzählen. Er würde in allen Einzelheiten hören wollen, wie es ihr ergangen war, und sie wollte wissen, was ihm widerfahren war. Seine Geschichten über die Leute, die er auf seinen Reisen traf, waren immer sehr lustig.
Sian beschloss, Melissas Interesse an dem Haus nicht zu erwähnen. Richard würde sich sonst darum kümmern wollen, und sie hatte vor, mit dem Problem allein fertig zu werden. Normalerweise nahm sie gern Hilfe an, aber Richard hatte schon so viel für sie getan. Sie wusste, dass er ihr das Leben leichter machen wollte – er würde sie sofort einladen, zu ihm zu ziehen, wenn sie ihm ihre Bereitschaft signalisieren würde. Doch Sian wollte Richards Gutmütigkeit nicht ausnutzen.
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