Sommer der Liebe
Melissa würde wieder gehen, doch sie wollte auch nicht unhöflich sein. Je schneller sie die Fragen beantwortete, desto rascher würde dieser Besuch vorbei sein. »Nein. Ich arbeite von zu Hause, aber meine Eltern leben in London, deshalb wollte ich nicht zu weit wegziehen.«
»Und Ihr Partner?«
Sian schüttelte den Kopf. »Ich bin alleinerziehend. Und es gibt auch keinen Expartner, zu dem Rory hin und wieder fahren müsste.«
Melissas getuschte Wimpern flatterten überrascht. »Dann wollten Sie einfach nur ein Baby? Wie mutig! Und wie um Himmels willen haben Sie den Vater ausgewählt? War Ihnen wichtiger, dass er intelligent ist oder dass er gut aussieht?«
Sian dachte kurz an die Nacht, aus der neun Monate später Rory hervorgegangen war, und lächelte. Ihr Humor siegte über das Entsetzen über Melissas Unverblümtheit. »Ich habe es nicht geplant, schwanger zu werden, aber ich habe mich gefreut, als ich es erfuhr, – nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte.«
»Das ist ja so mutig! Auf keinen Fall würde ich allein ein Kind bekommen! Allein die ganze Arbeit! Ganz zu schweigen von dem Gerede.« Melissa konnte sich offenbar nichts Schrecklicheres vorstellen. Sian wusste, dass nicht jeder mit ihrer derzeitigen Situation gut umgehen konnte, dennoch wirkte Melissas Reaktion ein bisschen extrem. Vielleicht hatte Fiona recht, und die Leute auf dem Land waren sehr viel festgefahrener in ihren Meinungen.
»Ich habe in der Nähe meiner Eltern gelebt, und sie haben mich sehr unterstützt«, erklärte Sian leise, aber bestimmt. »Und es gab kein Gerede.«
»Oh, ich wollte Ihnen auch nichts unterstellen.« Melissa hatte zumindest den Anstand zu erröten. »Es ist nur, dass einige Leute in dieser Gegend eher altmodisch sind.«
Wie du, meinst du wohl, dachte Sian ketzerisch. »Ich fand die Menschen hier bis jetzt sehr nett«, erwiderte sie.
»Fiona ist okay. Eine ziemlich exzentrische alte Schachtel, aber nett.«
Sian fühlte sich stellvertretend für Fiona sehr beleidigt. Fiona Matcham war Mitte fünfzig – so alt wie Sians Mutter – und in Sians Augen noch keine »alte Schachtel«.
»Der ein oder andere wird jedoch ein bisschen Anstoß nehmen an der Tatsache, dass Sie eine unverheiratete Mutter sind. Vielleicht sollten Sie besser vorgeben, verwitwet zu sein. Was ist mit dem Vater des Kindes passiert? Hat er Sie unterstützt?«
Da Sian Rorys Vater nichts von der Schwangerschaft erzählt hatte und sie auch nicht wusste, was aus ihm geworden war, trank sie wieder von ihrem Wasser, um Zeit zu gewinnen. »Er hat eine lange Reise angetreten. Ich konnte keinen Kontakt zu ihm aufnehmen, deshalb habe ich es ihm nicht erzählt. Es erschien mir unnötig. Wir kannten uns erst kurze Zeit.«
Sie blickte ihrem ungebetenen Gast herausfordernd ins Gesicht. Wehe, die gute Melissa kommentierte nun die Tatsache, dass Sian dann offenbar sehr schnell mit ihm ins Bett gegangen sein musste! Das hatte sie, ja. Damals hatte sie einfach nicht anders gekonnt, doch es war völlig untypisch für sie gewesen. Wenn es Rory als Beweis nicht gegeben hätte, hätte sie die ganze Sache wahrscheinlich für einen Traum gehalten – allerdings für einen sehr schönen Traum.
»Ich finde, Sie sollten diesen Bastard dafür bezahlen lassen!«, rief Melissa.
Etwas erschrocken über so viel Vehemenz, sagte Sian: »Wieso? Ich bin sehr gern Mutter. Ich hasse Rorys Vater nicht.«
Melissa zuckte mit den Schultern. »Soso. Dann leben Sie also vom Staat?«
Es gab Offenheit, und es gab Dreistigkeit. Diese Bemerkung hier war dreist. »Wie ich schon sagte, arbeite ich von zu Hause. Ich bin selbstständig, bemale Möbel.« Sie fügte nicht hinzu, dass sie vom Staat nahm, was ihr zustand, und froh darüber war, diese Unterstützung zu haben. Das ging diese Frau nichts an. »Und was ist mit Ihnen?«, erkundigte Sian sich, weil sie das Gefühl hatte, dass sie jetzt mal an der Reihe war, inquisitorische Fragen zu stellen. »Was machen Sie beruflich?«
»Oh, ein bisschen PR, Eventmanagement, so was in der Art.«
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Noch nicht.« Melissa lächelte leicht, als gäbe es da ein Geheimnis.
»Dann verlobt? Planen Sie eine große Hochzeit?«
»So ist es in der Tat! Aber tatsächlich bin ich im Moment Single. Ich habe gerade eine langjährige Beziehung beendet. Der Mann war nett, doch er hat mich viel zu sehr kontrolliert.«
»Aha.« Sian kommentierte dies absichtlich nicht, weil sie die Unterhaltung nicht in die Länge
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