Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
mußte aber an das schwarze Wasser um sie herum denken. Es wird uns beide fangen. Es wird uns abschneiden und nach unten ziehen.
    Seine Mutter half ihm, durch den Flur zu waten, wo das Wasser irgendwie viel flacher war. Jetzt konnte er das schwache Licht der Wendeltreppe sehen. Seine Mutter drückte ihn fester an sich, als er so richtig zu schlottern anfing.
    »Schon gut«, sagte sie, obwohl sie auch zitterte, als sie die übergroßen Treppenstufen hinaufstiegen. »Es ist überstanden«, flüsterte sie, als sie hinausgingen - nicht in die Küche, sondern durch die Außentür - und im strahlenden Nachmittagssonnenschein vom Haus wegwankten wie zwei Überlebende eines Unfalls, die versuchen, sichere Distanz zwischen sich und die Unfallstelle zu bringen.
    Sie ließen sich unter dem kleinen Apfelbaum auf den Rasen fallen; beide waren sie naß und zitterten. Dale blinzelte und war fast blind im Licht. Hitze und Sonnenschein und die Farben wirkten unwirklich, ein Traum nach der alptraumhaften Wirklichkeit der Dunkelheit und sich bewegender Leichname im Wasser... er machte die Augen zu und konzentrierte sich darauf, nicht zu zittern.
    Mr. Grumbacher hatte den Rasen mit seinem fahrbaren Mäher gemäht, jetzt hörte Dale, wie der Motor ausging, wie der Mann etwas rief - ob alles in Ordnung sei - und dann ausgreifende Schritte über den Rasen. Dale versuchte die Lage zu erklären, ohne sich wie ein Irrer anzuhören.
    »Et... et... etwas im W-W-Wasser«, sagte er und war wütend, daß seine Zähne so klapperten. »Et-was hat versucht, mich zu p-p-p-packen.« Seine Mutter nahm ihn in die Arme, beruhigte ihn, versuchte zu witzeln, obwohl ihre Stimme den Tränen nahe schien. Mr. Grumbacher sah herunter - er war groß und hatte die graue Uniform an, die er jeden Tag trug, wenn er den Milchlaster fuhr; er sah darin irgendwie offiziell aus -, dann war er fort, Da-les Mutter umarmte ihn wieder und versicherte ihm, daß alles in Ordnung sei, und dann war Mr. Grumbacher wieder da, Kevin stand unter der Tür ihres Ranchhauses und sah neugierig über den breiten Rasen zu der Stelle, wo sie unter dem Apfelbaum lagen, dann hatte Dale eine Decke um die Schultern, ebenso seine Mutter, und dann ging Mr. Grumbacher zu ihrer Tür hinein, in den Keller hinunter ...
    »Nicht!« schrie Dale unwillkürlich. Er versuchte zu lächeln. »Bitte gehen Sie nicht da runter.«
    Mr. Grumbacher sah zu Kevin, der immer noch gaffend unter der Tür stand. Er winkte ihm zu, klopfte mit der langen Taschenlampe mit ihren fünf Batterien in die Hand und machte das Fliegengitter der Tür zu. Die Kellertreppe führte von einem abgeschiedenen kleinen Ne-benkämmerchen an der Straßenseite der Küche in den Keller hinunter; dieser Windfang hielt im Winter die Kälte ab; sie hängten ihre Mäntel an Nägeln dort auf. Es wartete da unten auf sie. Mr. Grumbacher hatte keine Chance.
    Dale schlotterte einen Moment lang, dann stand er auf und schüttelte die Decke ab. Seine Mutter hielt ihn am Handgelenk, aber er wand sich aus ihrem Griff. »Ich muß ihm zeigen, wo es war... muß ihn warnen vor...«
    Die Fliegengittertür ging auf. Kevins Dad kam heraus, seine ordentlich gebügelte graue Uniformhose war bis zu den Knien naß, seine Stiefel quietschten auf den Platten. Er knipste die lange Taschenlampe aus, die er in der linken Hand hielt; in der rechten trug er etwas anderes. Etwas Langes und Weißes und Nasses.
    »Ist es tot?« fragte seine Mutter. Eine dumme Frage. Der Leichnam war auf doppelte Größe aufgedunsen.
    Mr. Grumbacher nickte. »Ist wahrscheinlich nicht ertrunken«, sagte er mit seiner leisen, aber nachdrücklichen Stimme, die Dale schon so oft gehört hatte, wenn er Kevin angesprochen hatte. »Muß Gift gefressen haben oder so. Vielleicht ist es mit dem Rückstau reingekommen, als die Abflußrohre überlastet waren.«
    »Ist es eine von Mrs. Moon?« fragte seine Mutter und kam näher. Dale spürte, daß sie am ganzen Körper zitterte.
    Mr. Grumbacher zuckte die Achseln und legte den Kadaver neben der Einfahrt ins Gras. Dale hörte, wie es leise putschte und Wasser zwischen den spitzen Zähnen herausfloß. Er kam näher und stieß sie mit der Schuhspitze an.
    »Dale!« sagte seine Mutter.
    Er zog den Fuß zurück. »Das habe ich nicht gesehen«, sagte er und versuchte, nicht zu zittern und nicht überdreht zu klingen. »Es war keine Katze. Das da ist eine K-"K-Katze.« Er stieß wieder gegen das aufgedunsene Ding.
    Mr. Grumbacher schenkte ihnen sein knappes,

Weitere Kostenlose Bücher