Sommer der Nacht
beschloß Mr. Ashley-Montague, sollte wirklich vor einem schweren Sturm oder Tornado gewarnt werden, würde er einfach in die Limousine steigen und sich von Tyler nach Hause fahren lassen. Tornados zertrümmerten vielleicht kleine Städte wie Elm Haven, aber sie gaben sich nicht mit Luxusfahrzeugen auf Straßen ab, und es war nicht bekannt, daß jemals einer dem Grand View Drive etwas angehabt hätte.
Er nickte Tyler zu, worauf der den ersten Zeichentrickfilm einlegte und die Projektorlampe einschaltete. Die wenigen Leute auf ihren Decken und den Parkbänken spendeten verhaltenen Beifall. Tom und Jerry jagten einander um ein Haus herum, während Mr. Ashley-Montague noch eine Zigarette rauchte und den Himmel südlich der Stadt im Auge behielt.
»Tornado? Was meinst du?« sagte Dale, als sie auf der Veranda seines Hauses standen und die Second Avenue hinuntersahen. Wenige Autos fuhren auf der Hard Road, und die wenigen hatten die Scheinwerfer eingeschaltet und fuhren langsam.
»Ich weiß nicht«, sagte Mike. Sie hatten alle schon einmal Tornados erlebt - es war der Fluch des Mittelwestens und das einzige Wetter, das ihre Eltern fürchteten -, aber die blutergußfarbenen Wolken im Süden schienen sich jetzt schon tagelang zusammenzubrauen. Der Himmel wirkte wie eine negative Emulsion des Tageslichts, Bäume und Dächer wurden vom letzten gelblichen Licht erhellt, während der Himmel wie die Öffnung in einen schwarzen Abgrund war. Schwaches Zucken grünlichen Lichts über dem Horizont aus Maisstauden deutete auf Blitze hin, aber Blitze an sich waren keine zu sehen, keine sichtbaren elektrischen Entladungen, nur ein gelegentliches Aufleuchten grün-weißer Phosphoreszenz, bei dem die Altvorderen im Laden von Kettenblitzen und Kugelblitzen und anderen Phänomenen sprachen, von denen sie nichts verstanden.
Mike hob das Walkie-talkie und drückte auf Senden. Zwei Klicks ertönten, die zeigten, daß Kevin mithörte.
»Kannst du reden?« sagte Mike leise ins Mikrofon und spielte nicht mit Codes oder Rufzeichen herum.
»Ja«, antwortete Kevins Stimme. Obwohl der andere Junge keine dreißig Meter entfernt im Ranchhaus nebenan war, wurde der Empfang von Statik und Knistern überlagert. Es war, als würde die Atmosphäre auch auf einer Ebene brodeln, die sie nicht sehen konnten.
»Wir gehen rein und legen uns hin«, sagte Mike. »Wenn ihr nicht zur Gratisvorstellung gehen wollt.«
»Haha«, antwortete Harlens Stimme. Mike sah deutlich vor sich, wie der kleinere Junge sich das Funkgerät geschnappt hatte.
»Seid ihr Jungs da drüben auch schön zugedeckt?« fragte Dale, der sich dicht zu Mikes Walkie-talkie beugte.
»Sehr komisch«, sagte Harlen. »Wir sind im Keller von Krummbagger und sehen fern. Die Bösen haben gerade Miß Kitty entführt.«
Dale grinste. »Sie entführen Miß Kitty jede Woche. Ich finde, Matt sollte sie ihnen einfach überlassen.«
Kevins Stimme mischte sich leise und gepreßt ein. »Ich habe den Schlüssel für morgen.«
Mike seufzte. »Großartig. Angenehme Träume euch beiden ... aber macht frische Batterien rein und sieh zu, daß du auf Empfang bleibst.«
»Verstanden«, lautete Kevs lakonische Antwort. Statik rauschte und knisterte.
Die drei Jungs gingen hinauf ins Zimmer von Dale und Lawrence. Mrs. Stewart hatte ein drittes Bett unter das Südfenster gestellt; sie hatte größtes Verständnis dafür gehabt, daß Mike nach dem schrecklichen Unfall von Pater Cavanaugh gestern beunruhigt war. Es machte ihr nichts aus, daß Mike hier schlafen wollte. Mr. Stewart wollte am Sonntagnachmittag früh zu Hause sein, und vielleicht konnten sie alle ein Picknick am Ufer des Spoon oder Illinois River machen.
Sie zogen die Pyjamas an. Sie hätten an diesem Abend lieber die Kleidung angelassen, aber Dales Mutter würde ganz bestimmt noch nach ihnen sehen, und sie wollten keine Probleme. Sie legten ihre Kleidungsstücke zurecht, und Dale stellte den Wecker auf Viertel vor fünf. Er merkte, daß seine Hand leicht zitterte, als er die Uhr aufzog.
Sie legten sich in die Betten, Mike auf die Pritsche, lasen Comics und redeten über alles mögliche, nur nicht über das, woran sie alle dachten.
»Ich wünschte, wir hätten zur Gratisvorstellung gehen können«, sagte Lawrence während einer Pause in der Unterhaltung über die Chicago Cubs. »Sie zeigen den neuen Film mit Vincent Price - Die
Verflixten.«
»Die Verfluchten«, sagte Dale. »Nach einer Geschichte von Edgar Allan Poe. 1 Weißt du noch, wie
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