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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Handgelenk.
    »He!« sagte Lawrence und wurde sogleich vom Bett gerissen, daß das Bettzeug davonflog. Er landete krachend auf dem Fußboden. Der weiße Arm fing an, ihn unter das Bett zu ziehen.
    Dale hatte keine Zeit mehr zu schreien. Er packte die Beine seines Bruders und versuchte, ihn festzuhalten. Der Sog war unerbittlich; Dale wurde selbst vom Bett gezogen, Laken und Bettdecke bildeten einen Wulst um seine Knie.
    Lawrence schrie, als sein Kopf unter dem Bett verschwand; dann wurden seine Schultern hinuntergezerrt. Dale versuchte, einen Halt zu finden, um seinen Bruder zurückzuziehen, aber es war, als wären vier oder fünf Erwachsene unter dem Bett. Er hatte Angst, Lawrence würde in zwei Teile zerrissen.
    Dale holte tief Luft, sprang zwischen die beiden Betten hinunter und stieß sein Bett beiseite.
    Unten herrschte Dunkelheit... keine normale Dunkelheit, sondern eine Schwärze, die finsterer war als die undurchdringlichen Gewitterwolken am südlichen Horizont, eine Dunkelheit wie auf schwarzen Samt geschüttete Tinte, die die Bodendielen bedeckte und wallte wie ein schwarzer Nebel. Zwei kräftige weiße Arme ragten aus dieser Schwärze heraus und zogen Lawrence in das Loch. Lawrence schrie wieder, aber der Schrei brach unvermittelt ab, als der Kopf in der runden Schwärze inmitten der Schwärze verschwand. Seine Schultern folgten.
    Dale packte den Knöchel seines Bruders wieder, aber die weißen Hände waren unerbittlich. Lawrence wand sich stumm und trat um sich, aber er wurde unwiderstehlich in die Schwärze gezogen.
    »Mike!« schrie Dale mit schriller Stimme. »Komm schnell! Hilfe!« Er verfluchte sich, weil er seinen eigenen Rucksack auf der anderen Seite des Betts nicht genommen ... die Schrotflinte, die Spritzpistolen... nein, dazu hätte er keine Zeit gehabt.
    Lawrence war schon fast verschwunden. Nur seine Beine ragten noch aus der Schwärze heraus.
    Lieber Gott, er wird in den Fußboden gezogen! Vielleicht frißt es ihn Stück für Stück auf! Aber die Beine traten noch um sich; sein Bruder lebte noch.
    »Mike!«
    Da spürte Dale, wie sich die Schwärze um ihn legte, Schleier und Schwaden Dunkelheit, die dicker und kälter waren als Winternebel. Wo ihn die Schwaden berührten, prickelten Dales Beine und Knöchel, als wären sie von Trockeneis berührt worden.
    »Mike!« kreischte er.
    Eine der weißen Hände ließ davon ab, Lawrence in die Dunkelheit zu zerren, und griff nach Dales Gesicht. Die Finger waren mindestens zwanzig Zentimeter lang.
    Dale zuckte zurück, ließ den Knöchel von Lawrence los und mußte mit ansehen, wie das letzte Stück seines Bruders in der Dunkelheit verschwand. Dann war nichts mehr unter dem Bett, außer dem schwarzen Nebel, der in sich selbst zusammenfiel, und die unglaublich langen Finger, die rückwärts nach unten glitten wie die eines Kanalarbeiters, der sich in einen Gully hinunterläßt.
    Dale warf sich unter das Bett, griff in die Dunkelheit und tastete nach seinem kleinen Bruder, während er spürte, wie seine Hände und Unterarme in der schrecklichen Kälte taub wurden, während sich die Schwärze in sich selbst zusammenzog, die Schwaden sich zusammenzogen wie die Zeitrafferaufnahme einer ebenholzfarbe-nen Blüte, die sich für die Nacht zusammenfaltet - dann war nur noch ein perfekter Kreis der Dunkelheit übrig -ein Loch! Dale spürte Leere, wo fester Boden sein sollte -, und dann zog er die Hände zurück, während sich der Kreis allzu schnell zusammenzog wie eine Irisblende aus Stahl, die Dales Finger binnen eines Augenblicks abgeschnitten hätte...
    »Was ist?« schrie Mike, der mit dem Rucksack in einer und der langen Eichhornbüchse in der anderen Hand ins Zimmer gestürzt kam.
    Dale schluchzte hemmungslos, stammelte und deutete unters Bett.
    Mike ließ sich auf die Knie sinken und klopfte mit dem Lauf der Eichhornbüchse auf die soliden Bodendielen. Dale sank auf Ellbogen und Knie und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden. »Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Da unten war nichts, außer Dielen und Staubflusen und Lawrences heruntergefallener Onkel-Dagobert-Comic.
    Ein Schrei gellte vom Keller herauf.
    »Lawrence!« schrie Dale und rannte zur Treppe.
    »Moment mal! Moment mal!« brüllte Mike und hielt ihn zurück, bis er Dales Rucksack und das Funkgerät aufgehoben hatte. »Bau die verdammte Savage zusammen.«
    »Wir können nicht warten... Lawrence ...«, keuchte Dale und wollte sich losreißen. Ein zweiter Schrei ertönte aus dem

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