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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Nacht lag Mike O'Rourke wach und zählte Glühwürmchen vor seinem Fenster. Der Schlaf war wie ein Tunnel, und er hatte nicht die Absicht, da hineinzugehen.
    Etwas bewegte sich auf dem Rasen des Vorgartens unter der Linde. Mike beugte sich nach vorn, drückte die Nase gegen das Fliegengitter und versuchte, zwischen den Blättern und den Erkern der kleinen vorderen Veranda durchzusehen.
    Jemand war aus dem dunklen Schatten unter den Bäumen bei Memos Fenster gekommen und auf die Straße getreten. Mike horchte nach Schritten auf dem Asphalt oder dem Knirschen von Kies auf der Straße, aber abgesehen vom seidigen Rascheln der Maisstauden war kein Laut zu hören.
    Er hatte nur einen flüchtigen Blick darauf erhaschen können, aber Mike hatte den runden Schatten eines Hutes gesehen. Perfekt rund für einen Cowboyhut. Mehr wie ein Pfadfinderhut.
    Oder die Uniformhut des Soldaten, den Duane als >Landser< bezeichnet hatte.
    Mike lag mit klopfendem Herzen am Fenster und hielt den Schlaf von sich fern wie einen Gegner, der unbedingt auf Distanz gehalten werden mußte.

11
    Duane McBride brach zur Bibliothek auf, sobald er seine morgendlichen Arbeiten erledigt hatte. Der Alte war wach und nüchtern und in der übellaunigen Stimmung, die diese Kombination normalerweise hervorbrachte. Duane ging in die Werkstatt des Alten und sagte ihm, daß er wegginge.
    »Arbeit getan?« grunzte sein Vater. Er spielte mit dem neuesten Modell seiner >Lernmaschine<. Die Werkstatt des Alten war früher einmal das Eßzimmer der Familie gewesen, aber da Duane und sein Vater nur in der Küche aßen - wenn sie überhaupt einmal zusammen aßen, was selten vorkam -, hatte der Alte eine Werkstatt aus dem Eßzimmer gemacht. Ein halbes Dutzend Türen und Sägeböcke dienten als massive Tische, auf den meisten waren Variationen der Lernmaschine und andere Prototypen verteilt.
    Der Alte war ein richtiger Erfinder; er hatte fünf Patente angemeldet, aber nur eines davon - der automatische Briefkastenalarm -hatte ihm je Geld eingebracht. Die meisten Einrichtungen waren so unpraktisch wie die Lernmaschine, mit der er sich gerade beschäftigte: ein massives Metallkästchen mit Hebeln, Sichtpanel, Knöpfen, Lochkartenschlitzen und zugehörigen Lichtern. Das Ding sollte die Bildung revolutionieren. Wenn sie richtig mit Rollen des jeweiligen Frage-Antwort-Materials programmiert und den richtigen Schülerantwortkarten versehen war, konnte die Maschine stundenlang Bildungsmöglichkeiten und Privatunterricht bieten. Das Problem - auf das Duane wiederholt hingewiesen hatte - war schlicht und einfach, daß die Lernmaschine mit allen zugehörigen Druckwerken fast tausend Dollar kosten würde, und sie war mechanisch.
    Duane beharrte schon lange darauf, daß Computer eines Tages solche Sachen machen würden, aber sein Vater verabscheute Elektronik fast so sehr, wie Duane sie liebte. Weißt du, wie groß ein Computer sein müßte, damit er die einfachsten autonomen Lehrtätigkeiten ausführen kann? wollte sein Vater wissen. So groß wie Texas, antwortete Duane. Und die stündliche Strömung der Niagarafälle wäre erforderlich, ihn zu kühlen. Aber dann fügte er noch hinzu: Aber das sind die mit Vakuumröhren, Pop. Sie machen jetzt aufregende Sachen mit Transistoren und Resistoren.
    Dann grunzte der Alte und machte sich an die Arbeit an einem neuen Prototyp der Lernmaschine. Duane mußte zugeben, daß sie Spaß machten - als er acht war, hatte er einmal einen vollständigen Politikwissenschaftskurs der High-School mit einer durchgemacht -, aber sie waren klobig und furchteinflößend. Nur eine war verkauft worden - vor fast vier Jahren an den Brimfield School District, und dort kannte Onkel Art einen Einkäufer. Ansonsten verstopften die Prototypen die Werkbänke und beanspruchten Platz in den Fluren und leerstehenden Zimmern oben.
    Duane dachte sich, daß das Perpetuum-mobile-Projekt Lernmaschine nicht so schädlich war wie das rund um die Uhr geöffnete ländliche Einkaufszentrum, das der Alte Mitte der fünfziger Jahre eröffnet hatte. Das >Ein-kaufszentrum< hatte zwei Geschäfte umfaßt, einen Eisenwarenladen und den Mehrzweck->OmniMarkt< des Alten, der größtenteils Brot und Milch verkaufte, aber der Alte war der einzige Auslieferer gewesen und hatte mitten in der Nacht telefonische Bestellungen angenommen, war ständig auf sämtlichen Schotter- und Feldwegen unterwegs gewesen und hatte um vier Uhr morgens einer alten Dame in Knox County einen Laib Brot geliefert, um

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