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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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Schwesterntracht hinüber. Und hoffe ein bisschen, dass sie mir widerspricht.
    »Nein, nein, Mina, Anna ist nur zu Besuch.«
    Das Mädchen zuckt mit den Schultern und deckt weiter auf.
    Hier herrscht eine große Ruhe. Die Mädchen sind zwar älter als ich, aber ich finde sie nett.
    »Und hier kann ich lernen?«, frage ich die Schwester, während wir in den ersten Stock zurückgehen.
    »Sicher. Wir haben auch einen Klassenraum für den Unterricht. Aber jetzt gehen wir besser, ich glaube, Schwester Mimma hat ihr Gespräch mit der Oberin beendet. Ich bringe dich zu ihr. Hat es dir hier gefallen?«
    »Sehr.«
    »Braves Mädchen.«
    Die Schwester lächelt mich auch mit den Augen an und bringt mich in den ersten Stock zurück.
    Wir bleiben vor der Tür stehen, hinter der Schwester Mimma bei unserer Ankunft verschwunden ist. Die Schwester im grauen Pullover geht hinein und gibt mir ein Zeichen, zu warten, während sie die Tür hinter sich nicht ganz zuzieht. Ich lehne mich an die Wand. Weiß nicht, was ich davon halten soll. Es ist alles so neu für mich.
    Was soll ich denn meiner Mutter sagen, wenn ich mich entscheide, hierhin zu gehen? Doch die Vorstellung, eine Weile aus San Martino weg zu sein, gefällt mir. Es ist eine Chance. Mir gefallen die Zimmer mit den Betten und Nachttischchen, und auch das Mädchen im Speisesaal. Wir könnten Freundinnen werden.
    »Aber das Mädchen ist erst dreizehn.« Schwester Mimma klingt aufgeregt.
    Ich nähere mich der angelehnten Tür, halte mich aber dicht an der Wand, damit ich nicht gesehen werde und um schnell einen Schritt zur Seite machen zu können, wenn jemand herauskommt oder hineinwill.
    Schwester Mimma sitzt mit dem Rücken zu mir vor dem Schreibtisch. Ihr gegenüber sitzt eine Frau, aber ich kann sie nicht genau erkennen, denn hinter ihr befindet sich ein Fenster, und deshalb sehe ich im Gegenlicht nur ihre Silhouette.
    »Schwester Mimma, Sie verstehen doch, dass wir hier ausschließlich junge Mädchen haben. Ihres ist keine Jungfrau mehr, und das könnte zu Problemen führen, sie könnte Störungen im Haus verursachen. Wir sind eine kleine Gemeinschaft, in einem kleinen Ort, ich muss meine Mädchen beschützen. Für eine wie Ihre Anna wäre Lucera wohl angezeigter.«
    »Aber Lucera ist weit weg, und wir können Anna nicht aus Kalabrien fortschaffen und sie zu sehr von ihren Eltern, von ihrer Familie trennen, das könnte ein Schock für sie sein. Eigentlich ist es nur einmal vorgefallen, und das Mädchen ist nicht schwanger geworden, ich habe selbst den Test gemacht. Sofort.«
    »Sie ist keine Jungfrau mehr«, wiederholt die Silhouette im Fenster und bekreuzigt sich.
    Sie redet über mich.
    Instinktiv schaue ich nach oben, um nachzusehen, ob ich einen Heiligenschein habe, ob ich Jungfrau bin, wie die Jungfrau Maria.
    Schwester Mimma kommt kurz darauf aus dem Zimmer. Ich kann gerade noch von der Tür wegtreten. Aber sie achtet gar nicht darauf.
    »Anna, Liebes, gehen wir.« Sie packt mich am Handgelenk, und wir verlassen hastig das Internat. Stumm steigen wir ins Auto. Aber ich möchte es doch verstehen.
    »Schwester Mimma, was bedeutet es, dass ich keine Jungfrau mehr bin?«
    Sie schaut mich an. Ihre Hände umklammern das Lenkrad.
    »Anna, was sagst du denn da? Jetzt fang du bitte nicht auch noch an.«
    »Aber ich …«
    Ich sage nichts mehr. Und sie auch nicht. Sie starrt wortlos auf die Straße. Also versuche ich es noch einmal.
    »Wissen Sie, Schwester Mimma, das Internat hat mir sehr gut gefallen, es gibt auch ein Musikzimmer, und die Mädchen scheinen sehr nett zu sein. Wann könnte ich dorthin? Wie lange soll ich bleiben? Können mich meine Mutter und meine Schwester besuchen kommen? Und kann ich nach Hause zurück, wenn ich will?«
    »Anna, im Internat war kein Platz mehr frei. Für dieses Jahr ist alles voll, und es war sowieso keine gute Lösung für dich. Du bist zu jung.«
    Schwester Mimma fährt jetzt viel schneller als auf dem Hinweg. Und sie schaltet ständig rauf und runter, auch wenn vor uns niemand ist.
    Die Straße ist völlig leer. Heute ist wirklich Frühling, mit dieser Sonne, dem frischen, intensiven Grün der Bäume. Weiße Wolken, wie prall gefüllte Kissen. Ich schweige und begnüge mich damit, aus dem Seitenfenster zu sehen, wo sich die Farben in meinen Augen mischen. Mir wird ein wenig übel davon.
    Als wir zu Hause ankommen, verabschiede ich mich wortlos von Schwester Mimma. Ich möchte so gerne wissen, was ich mit der Jungfrau Maria gemein habe,

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