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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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glauben wird, dass ich verlieren werde, mache ich weiter.
    Wenn die Avvocatessa den Mut verliert, gebe ich ihr Kraft, und wenn ich den Mut verliere, tut sie es bei mir.
    Rosalba ist eine schöne, hochgewachsene Frau. Direkt und auf das Wesentliche konzentriert. Eine berufstätige Frau, die immer auf dem Sprung ist. Sie fährt einen Jeep mit Automatikgetriebe, raucht blaue Pall Mall und trägt Stiefel unter den Jeans. Wenn sie läuft, hört man ihre Schritte. Genau wie sie selbst.
    Eine Zeit lang wohne ich bei ihr. Das heißt, nachts komme ich zum Schlafen heim, aber tagsüber bin ich immer in ihrem Haus, meiner Zuflucht. Es hat auch einen schönen Garten mit vielen Pflanzen und Blumen, außerdem hat die Avvocatessa einen kleinen Hund namens Ugo. Ich liebe Ugo. Und er liebt mich. Wir überschütten uns mit Zärtlichkeiten.
    Wenn ich an das Tor zum Haus der Avvocatessa klopfe, weiß Ugo schon, dass ich es bin, und läuft hin, um mich zu begrüßen.
    Die Avvocatessa und ihr Mann haben mich gelehrt, was ein normales Leben ist, zum Beispiel am Sonntagvormittag im Garten zu arbeiten, alle gemeinsam an einem Tisch zu essen, Geschenke zu bekommen.
    Vom Tag meiner Anzeige an hat sich in meinem Leben vieles verändert. Das verdanke ich den Carabinieri und der Avvocatessa . Meine Familie hat meine Entscheidung respektiert, aber Rosalba hat sie unterstützt. Das ist ein Unterschied. Eine Frage von Energie. Bei uns zu Hause fühle ich mich so erschöpft, und bei ihr fülle ich meine Kraftreserven auf. Dank ihr zögere ich nicht mehr. Dank ihr stelle ich mich den Untersuchungen bei Frauenärzten und Psychiatern, den Vernehmungen. Dank ihr stelle ich mich dem Prozess.
    * * *
    Am 28. Oktober 2002 beantragt Staatsanwalt Adorno beim zuständigen Richter Haftbefehle für die sechs Männer, die ich angezeigt habe. Am 30. Oktober schenken mir die Carabinieri von San Martino Diana. Sie rufen mich in den Garten und sagen, ich soll mal nachsehen, was im Ofen ist. Zunächst verstehe ich nicht, was das soll. Ich öffne den Ofen, und auf den Tonziegeln sehe ich eine rote Decke und darauf ein weißes Fellbündel, das mich mit zwei funkelnden Augen ansieht.
    »Wir haben den Hund bei jemandem in der Nähe der Kaserne gekauft. Er gehört dir. Nein, sie gehört dir, denn es ist ein Weibchen. Sie ist nicht Sissi, aber du wirst sehen, dass sie wachsen und ein großartiger Wachhund werden wird. Sie ist ein Mischling, und sie hat viel von einem Maremmen-Abruzzen-Schäferhund mit drin.«
    Als ich sie auf den Arm nehme und sie mir über das ganze Gesicht schleckt, denke ich, dass ich verrückt werde vor Freude.
    Es ist Liebe auf den ersten Blick. Man sieht den Carabinieri von San Martino an, wie glücklich sie über ihren Einfall sind.
    Ich werde sie Diana nennen. Dafür gibt es keinen besonderen Grund, es ist einfach der erste Name, der mir einfällt. Doch meine Avvocatessa erklärt mir etwas, was ich nicht wusste. Sie erklärt mir, dass Diana die Göttin der Jagd und des Kampfes ist. Also der passende Name für jemanden, dem ein schwerer Kampf bevorsteht.
    Sie sagt mir auch, dass Diana die Beschützerin der Frauen ist.
    Auf diese Weise wird Diana zu einem Teil meines Lebens.
    Das Dorf
    »Mich interessiert die nicht.«
    »Da tust du gut daran.«
    »Ich habe nie ein Wort an die gerichtet. Aber sie war immer so fröhlich und hat mit jedem geredet. Sie kam zur Bar und grüßte alle.«
    »Ja, die ging auf Männerjagd.«
    »Seit sie ein kleines Mädchen war.«
    »O ja. Was man so ›kleines Mädchen‹ nennt … heute sind die doch schon mit dreizehn ausgewachsene Frauen. Wenn sie sich dann schminken und so anziehen, dann kann man weiß Gott nicht mehr von kleinen Mädchen reden. Da muss man sich in Acht nehmen.«
    »Na klar, da genügt ein Blick, ein harmloser Gruß, und du siehst ja, was dann passiert!«
    »Schrecklich, diese Geschichte. Ich bin ja kein Heiliger, aber …«
    »Na, um Gottes willen, ich auch nicht.«
    »Aber das sind doch auch keine Monster.«
    Sie sitzen zu viert auf der Bank. Zwei alte Männer und zwei jüngere. Es reden nur die alten Männer. Die jungen tippen SMS in ihre Handys.

Das Fest des Heiligen Martin
    D ie weißen und roten Federn auf dem Helm des Heiligen Martin sieht man als Erstes aus der Kirchentür kommen. Dann folgt ein wenig schwankend der Heilige hoch zu Ross.
    Er wird von Beifall empfangen.
    Heute Morgen habe ich das Haus verlassen. Es ist das Fest des Heiligen Martin. Ich mag eigentlich nicht mehr unter Leuten sein.

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