Sommer in Ephesos
als hätte er ein Recht, das waren aber, dachte ich, heilige Früchte, die niemandem gehörten.
Wie das Theater gedröhnt hatte, das hatte mir der Vater ganz früh schon erzählt, die Paulusephesersache, hatte er gesagt, das kannst du in der Bibel nachlesen, Apostelgeschichte. Er hatte es mir vorgelesen, und später, ich war noch kaum des Lesens mächtig, hatte ich es mir selbst zusammenbuchstabiert, den Aufstand der Silberschmiede und wie sie geschrien hatten, wie aus einem Mund, fast zwei Stunden lang. »Groß ist die Artemis der Epheser!«
Ich mochte Paulus nicht, weil er die Göttin nicht mochte. Ihr Männer von Ephesus, deklamierte ich vor dem Vater, was der Stadtschreiber gesagt hatte. Ihr Männer von Ephesus, rief ich und warf mich in die Brust. Wer in aller Welt wüsste nicht, dass die Stadt der Epheser die Hüterin des Tempels der großen Artemis und ihres vom Himmel gefallenen Bildes ist? Das kann niemand bestreiten, ha! rief ich dem Vater kampfeslustig entgegen.
Nein, rief der Vater, niemand! Manchmal rief er noch, haut ihn!, aus der Stadt mit ihm!, und deutete auf Paulus, obwohl der nach dem Bericht der Apostelgeschichte nicht im Theater gewesen war.
Ich hob beschwichtigend die Hand. Darum geziemt es euch, sagte ich und sah den Vater streng an, geziemt es euch, überlegene Ruhe zu zeigen und nichts Übereiltes zu tun. Wir laufen ja Gefahr, rief der Stadtschreiber, rief ich, wir laufen ja Gefahr, des Aufruhrs angeklagt zu werden, und es fehlt jeder triftige Grund, mit dem wir diesen Auflauf rechtfertigen könnten. Damit ging ich, mir ein Leintuch wie eine Toga um die Schulter werfend, hochmütig an Paulus vorbei, der aber gar nicht da gewesen war. Der Vater murmelte, nichts Übereiltes tun, sehr wohl, keine Rechtfertigung für einen Auflauf. Ich drehte mich noch einmal um und rief, aber groß ist die Artemis der Epheser, und der Vater stimmte jubelnd ein, bis ich wieder von vorne begann, ihr Männer von Ephesus.
Wenn es zu Mittag manchmal Auflauf gab, wollte ich mich ausschütten vor Lachen. Es fehlt jeder triftige Grund, flüsterte ich dem Vater am Tisch zu, mit dem wir diesen Auflauf rechtfertigen könnten. Die Mutter wusste nie, warum wir kaum essen konnten vor Lachen, wenn es Auflauf gab.
Nach dem letzten Fanfarenstoß kletterte ich wieder die Stufen hinauf zu meinen Skizzen. Männer von Ephesus, rief ich dem Vater über die Weite des Theaterrundes hinweg zu, dass es hallte. Er lachte, mein Vater, mein Kindheitsvater, groß ist die Artemis von Ephesos, rief er, hoch aufgereckt, lachte und winkte und ich beugte mich wieder über meine Zeichnungen.
Die Schönheit und Kraft der Jugend, schreibt der Vater, und die Wut der Toten. Wie die Toten zähmen? Es muss sich keiner fürchten, schreibt er, dass ich zurückkommen werde.
Die Schönheit des Steins, schreibt er, zerstört noch schön, anders als menschliche Schönheit, die schmilzt im Feuer der Zeit. Was lieben wir denn, schreibt der Vater, wenn wir lieben.
Wie denn, schreibt er, wie ist es zu ertragen, dass alles um uns zerfällt. Dass das Fleisch, das wir geliebt haben, zerfällt, schmilzt, Würmerfraß werden soll. Wer sind wir denn, was bin denn ich.
Wenn du einmal stirbst, habe ich den Vater gefragt, da war ich fünf, kommst du zu mir zurück?
Nein, hat er gesagt, das würdest du nicht wollen, ich wäre ja ein anderer.
Aber, habe ich ihn gefragt, wo wirst du dann sein?
Er hat mich in die Arme genommen, nie würde er sterben, das ginge ja gar nicht. Seine Augen hatten die Farbe der Pappeln im Frühling.
Wo wirst du sein?
An einem anderen Ort.
Kann ich da auch sein?, fragte ich.
Nein. Das soll dich nicht traurig machen, sagte er, es wird gut sein, wie es ist.
Den eigenen Verfall ignorieren, schreibt der Vater. Dass wir hinfällig werden und vergehen, das ist ja nichts, das der Rede wert ist, das eine Überlegung lohnt. Die Toten sind stumm, hat das der Vater einmal gesagt? Nur bei den Lebenden ist ein ewiges Schwätzen.
Einmal bin ich mit dem Vater nach der Arbeit im Theater in den Hafenbereich gegangen, dort waren am Weg und wo es feucht war trotz der Hitze kleine knallgrüne Frösche, die sprangen vor unseren Schritten auf in alle Richtungen. Dort waren Brombeersträucher, Distelwälder, lilafarben, Streifen von wogendem Schilf und Steine, die seit Jahrhunderten fielen und gehalten wurden vom Fall.
Hier war, sagte der Vater, hier war das pulsierende Zentrum der Stadt, hier liefen alle Fäden zusammen. Wir sahen auf das
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