Sommer in Maine: Roman (German Edition)
der Frau und bewegte sich durch die Menge, während die Band in einen ruhigeren Takt wechselte und eine sanfte Melodie spielte. Es war Alices Lieblingslied, »Moonlight Serenade«.
Auf halbem Weg beugte Mary sich zu jemandem an einem Tisch voll eleganter Männer und Frauen in teuren Kleidern herunter. Es war Henry. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er stand auf. Dann kamen beide langsam auf Alice zu.
»Da bist du ja!«, sagte Mary, als sie bei ihr angekommen waren. Sie umarmte Alice, und Daniel blickte überrascht auf. »Ich hab schon überall nach dir gesucht. Wo sind die Jungs?«
»Die sind ins Kino gegangen«, sagte Alice. »Was macht ihr denn hier?«
»Du wolltest doch, dass ich komme. Und dann stellte sich heraus, dass einige von Henrys Freunden auch schon hier waren. Und zum Glück auch einen Tisch ergattert hatten.« Dann sah sie Daniel erwartungsvoll an.
»Das ist ein Freund von Timmy«, sagte Alice.
»Daniel Kelleher«, sagte Daniel und schüttelte Henrys Hand, als würde er einen Nagel einschlagen. »Schön, dich kennenzulernen, äh –«
»Henry«, sagte er. »Und das ist Mary.«
»Meine Schwester«, sagte Alice schnell.
»Ich habe schon von dir gehört«, sagte Mary. Ihre alte Schüchternheit war wie weggeblasen.
»Nur Gutes, wie ich hoffe«, antwortete Daniel.
»Aber natürlich«, und zu Alice gewandt sagte sie: »Hübsches Kleid.«
»Oh, entschuldige, ich wollte es nur für heute –«
»Nein, wirklich, es steht dir ausgezeichnet. Ich schenke es dir.«
Bei diesen Worten erstarrte Alice. Wie konnte ihre Schwester es wagen, so von oben herab mit ihr zu sprechen? Alice konzentrierte sich auf den Brief an die Philipper: Demut vor allem anderen.
Henry und Daniel hatten sich wieder unter die Männer eingereiht, die an der Bar bemüht waren, eine Bestellung aufzugeben.
»Ich versuch’s schon eine Ewigkeit«, sagte Daniel. »Gar nicht so einfach.« Dann winkte Henry einfach einen Barkeeper herbei und sagte: »Charles, würden Sie uns ein paar Drinks fertig machen?«
»Aber natürlich, Mr. Winslow.«
Daniel wurde rot.
»Und? Wie läuft’s?«, fragte Mary, sobald sie alleine waren.
Alice atmete tief durch und versuchte, ihre Wut abzuschütteln.
»Reinfall auf ganzer Linie«, sagte sie mit einem versöhnlichen Lächeln. »Und vielen Dank auch, Jungs.«
Mary warf einen Blick über die Schulter und senkte die Stimme, damit Daniel sie nicht hören konnte: »Aber er ist doch ganz nett. Du achtest viel zu sehr aufs Äußere.«
»Also gibst du zu, dass er hässlich ist.«
»Sch!«, Mary lächelte. »Keineswegs. Halt so durchschnittlich.«
»Ich steh aber nicht auf Durchschnitt.«
»Ich versteh schon«, sagte Mary. »Und ihr zwei gebt wirklich ein seltsames Paar ab.«
»Ich habe ihm erzählt, dass ich Malerin werden will, und er hat einfach gelacht.«
»Was?«
»Naja, so ungefähr. Wahrscheinlich hat er recht. Es ist ja doch nur ein Kindertraum.«
Mary schüttelte den Kopf: »Hast du ihm erzählt, dass du schon ein Bild verkauft hast?«
»Ach, sei nicht albern«, sagte Alice und war ihrer Schwester insgeheim dankbar, dass sie daran gedacht hatte.
»Du siehst in dem Kleid übrigens absolut sensationell aus«, sagte Mary. »Es steht dir viel besser als mir.«
»Pst!«, sagte Alice.
Die Männer kamen mit Gläsern in der Hand zurück, und Mary und Daniel vertieften sich in ein Gespräch über die Marine im Allgemeinen und Timmys unheilbare Sucht nach albernen Streichen im Besonderen. Daniel berichtete, dass ihr Bruder sich ein blaues Auge dafür eingehandelt hatte, dass er einem sturzbetrunkenen Kameraden im Schlaf eine Augenbraue abrasiert hatte.
»Warum nur eine?«, fragte Mary.
Während Daniel noch antwortete, legte Henry eine Hand auf Alices Handgelenk und flüsterte ihr zu: »Sag mal, Kleine, kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«
»Klar«, sagte sie.
»Ich bin schon ganz schön angetrunken.«
»Das sind wir alle«, sagte sie. »Ist ja ein tolles Geheimnis.«
»Nein, nein, das war’s noch nicht. Das Geheimnis ist, dass ich deiner Schwester morgen am Strand einen Heiratsantrag machen werde. Ich hab den Ring hier bei mir.« Er tippte mit einem Augenzwinkern auf seine Brusttasche. »Ich hab ihn heute Nachmittag abgeholt, bevor wir uns zum Theater trafen. Abgesehen von meiner Schwester und dir weiß noch niemand davon. Mein Vater will, dass ich für ein paar Jahre den Firmenzweig in New York übernehme. Das heißt, dass wir nach der Hochzeit vermutlich wegziehen.«
Alice
Weitere Kostenlose Bücher