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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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zwang sich zu einem Lächeln und sagte, das seien wundervolle Neuigkeiten. Hatte sie sich das nicht immer gewünscht? Trotzdem stieg Wut in ihr auf: Warum hatte Mary die wahre Liebe gefunden und nicht sie? Warum konnte Mary als reiche Frau von hier wegziehen, ihr Leben leben, wie es ihr beliebte und die interessantesten Leute kennenlernen? Alice hatte gedacht, dass Henry nicht nur Mary, sondern auch ihr eine glänzende Zukunft bescheren würde, aber vielleicht war das naiv gewesen. Hier stand Alice, mit dieser Niete an ihrer Seite, und da war ihre Schwester Mary, die sich in ein New Yorker Abenteuer stürzen und ein Leben wie das von Isabella Stewart Gardner führen würde.
    Alice wusste, dass ihre Wut oft ohne Vorankündigung aus ihr herausbrach, aber das Wissen allein half auch nichts. Daniel hatte ihre Wünsche für die Zukunft als Kindertraum bezeichnet. Vielleicht hatte er recht. Sie kam sich vor wie der letzte Idiot.
    »Wenn du und Mary morgen früh in der Kirche seid, spreche ich mit eurem Vater. Darauf freue ich mich ehrlich gesagt weniger«, fuhr Henry fort. »Könntest du Mary ein bisschen länger festhalten? Vielleicht geht ihr einfach irgendwo frühstücken.«
    »Ja, ja«, sagte Alice kurz. Dann wandte sie sich den anderen zu und sagte: »Ich muss jetzt gehen.«
    »Was? Auf keinen Fall! Ihr zwei kommt noch mit runter und trinkt einen mit uns«, sagte Mary. »So spät ist es doch noch gar nicht.«
    »Gerne!«, meinte Daniel.
    »Nein, danke«, widersprach Alice.
    »Ach, komm schon«, sagte Mary. »Wir würden dich gern einladen.«
    »Jetzt plustere dich mal nicht so auf. Das hier ist nicht deine Liga, das sieht doch jeder«, zischte Alice ihrer Schwester zu und wiederholte damit die Worte ihres Vaters wenige Wochen zuvor.
    Mary runzelte die Stirn: »Oh, habe ich mich aufgeplustert?«
    Plötzlich fühlte Alice sich schlecht. Was hatte ihre Schwester ihr denn getan?
    »Komm, lass uns runtergehen«, sagte Mary.
    Unten war die Melody Lounge, eine schummerige Bar an deren Seiten sich Nischen befanden. In einer davon hatte Alice Martin McDonough erlaubt, sie in aller Öffentlichkeit zu küssen. Sie hatte es fürs Vaterland getan, schließlich musste Martin am nächsten Tag wieder nach Deutschland an die Front, aber sie hatte den Kuss dann doch schnell beendet.
    Alice sah zu dem Tisch, an dem Henry gesessen hatte. Natürlich würde ihre Schwester nicht auf die Idee kommen, Alice ihren feinen neuen Freunden vorzustellen. Wenn Mary erst offiziell Teil dieser Welt war, wäre Alice für sie nicht mehr existent. Und New York war weit weg. Warum hatte Mary ihr nichts davon gesagt?
    »Nein, es geht wirklich nicht«, sagte sie. »Ich geh jetzt nach Hause.«
    »Ach Alice!«, sagte Mary.
    Alice ignorierte ihre Schwester und wandte sich Daniel zu: »Mein Mantel, bitte.«
    Er sah enttäuscht aus, tat aber, worum sie ihn gebeten hatte.
    Alice stand schweigend neben Mary und Henry. Als Daniel mit dem geborgten Nerzmantel über dem Arm zurückkam, wurde Alice knallrot, aber weder ihre Schwester noch sie sagten etwas dazu.
    Alice schlüpfte in den Mantel. »Bis dann«, sagte sie in die Runde und ging, ohne auf eine Antwort zu warten, Richtung Ausgang. Das Lokal war noch voller geworden und sie kam kaum durch. Daniel blieb dicht hinter ihr, um sie im Gedränge nicht zu verlieren.
    »Du solltest netter zu deiner Schwester sein«, rief er, um gegen das Stimmengewirr und die Musik anzukommen.
    »Was weißt du schon«, rief sie und drängte sich durch eine hitzig diskutierende Männergruppe.
    »Nicht viel, da hast du recht«, sagte er. »Warte doch mal. Ich begleite dich.«
    »Zu Fuß? Ich wohne in Dorchester«, sagte sie und ging einfach weiter. »Außerdem wohne ich bei meinen Eltern und bin ein anständiges Mädchen. Was auch immer du dir vorgestellt hattest: Vergiss es!«
    Sie wusste natürlich, dass er nichts dergleichen vorgehabt hatte, aber sie suchte Streit.
    Alice ging durch die Drehtür, und Daniel kam hinterher. Draußen war es eiskalt, und Alice schlang den Mantel eng um sich.
    »Zum Taxi, habe ich gemeint«, sagte er. »Du bist wohl fest entschlossen, mich nicht zu mögen, Alice Brennan?«
    Sie versuchte, nicht zu lächeln, aber es gelang ihr nicht.
    »Es war mir eine Freude, dich kennenzulernen«, sagte er. »Und bitte entschuldige, dass – tja, ich weiß gar nicht genau, was. Ein zweites Treffen ist wohl nicht drin, oder?«
    »Ganz richtig«, sagte sie und fügte leiser hinzu: »Es tut mir leid, dass ich dir den Abend

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