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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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was«, sagte Alice beleidigt. »Soweit ich weiß sind sie wie üblich im August hier.«
    Dann kam Pfarrer Donnelly mit dem Brot zurück.
    »Vielen Dank. Sie sind ein Engel«, sagte Alice und lächelte ihn an. Wenn ein attraktiver Mann in der Nähe war, zeigte Alice sich von ihrer besten Seite. Maggie dachte an ihren Großvater, der selbst als junger Mann nicht sonderlich gutaussehend gewesen war. Sie kannte die alten Fotos. Die Frauen in seiner Familie waren sommersprossig und rund, die Männer dürr und blass. Warum sich Alice wohl für ihn entschieden hatte? Jemand mit ihrer Eitelkeit hatte sich bestimmt mehr erhofft, als einen dermaßen gewöhnlich aussehenden Ehemann.
    »Sprechen Sie das Tischgebet, Herr Pfarrer?«, fragte Alice.
    Maggie blickte sich nach den anderen Gästen in kurzen Hosen und Sandalen und mit dünnen Plastikhummerlätzen vor der Brust um. Ein Tischgebet? Das war nicht ihr Ernst, oder?
    »Ist mir eine Ehre«, sagte er. Zu Maggies Entsetzen streckte er die Arme aus, damit sie sich die Hände reichten.
    Zum Glück machte er es kurz: »Herr, segne uns und diese Deine Gaben, die wir von Deiner Güte nun empfangen werden, durch Christus, unseren Herrn. Amen.«
    Er ließ ihre Hände sofort los, wandte sich Maggie zu und fragte: »Und, wie lange bleiben Sie in Maine?«
    Das war überstanden. Sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich weiß noch nicht genau. Vermutlich nur ein paar Tage.«
    »So kurz?«, sagte Alice. »Ich dachte, du bleibst zwei Wochen.«
    »Naja, meine Pläne haben sich ja geändert, wie du weißt, und ich weiß noch nicht so genau, wie es weitergeht.«
    »Sie hat sich von ihrem Freund getrennt«, sagte Alice fröhlich, »und versteckt sich jetzt hier.«
    Maggie lachte, weil es ja nicht ganz falsch war und weil Lachen im Augenblick die einzige Alternative dazu war, sauer zu werden. Außerdem fühlte es sich gut an, einen Augenblick lang so zu tun, als sei die Trennung ihr größtes Problem.
    »Dafür kann man sich keinen schöneren Ort aussuchen«, sagte der Pfarrer. Nach seinem nächsten Biss ins Hummerbrötchen blieb ein Klecks Mayonnaise auf seiner Unterlippe zurück, und zu Maggies Erstaunen beugte sich Alice vor und wischte es ihm vom Mund.
    »Danke«, sagte er.
    Maggie wünschte, sie könnte die Zeit anhalten, ihre Mutter anrufen und ihr augenblicklich Bericht erstatten.
    »Wann müssen Sie wieder bei der Arbeit sein?«, fragte Pfarrer Donnelly Maggie.
    »Theoretisch habe ich nur zwei Wochen Urlaub, aber meiner Chefin ist es egal, wo wir arbeiten, solange wir uns ab und zu im Büro zeigen, also vielleicht einmal im Monat.«
    Aber am achten Juli muss ich spätesten wieder in New York sein, da habe ich nämlich den nächsten Termin bei meiner Gynäkologin. Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich hab mich doch schwängern lassen.
    »Das klingt wundervoll«, sagte der Pfarrer jetzt.
    »Ist es auch, aber meistens arbeite ich trotzdem im Büro.«
    »Und was machen Sie da?«, fragte er.
    »Tja, also ich arbeite für diese Fernsehsendung, ähm, dabei geht es um Verbrechen«, sagte sie. Ein Gespräch mit einem Priester war eine seltsame Sache. Man musste jedes Wort zweimal durch die Zensur schicken. Sichere Themen waren Die Glücksbärchis , Jesus Christus und das Wetter, und das war’s dann auch. »Aber ich schreibe auch selbst.«
    »Oh ja, ich weiß. Ihre Großmutter hat mir ausführlich davon berichtet«, sagte er.
    Ach ja? Maggie hätte vor Rührung heulen können. Aber dann ärgerte sie sich über sich selbst: Warum war es so leicht, ihre Zuneigung zu gewinnen? Schließlich war es so eine große Sache nicht, dass Alice ihre Schriftstellerei mal erwähnt hatte.
    »Ich finde es toll, dass Sie schreiben«, sagte er. »Ich versuche mich selbst auch gelegentlich als Autor.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, ja. Früher habe ich oft Kurzgeschichten geschrieben. Jetzt mache ich es nur noch ab und zu. Es ist einfach so: Ich bin zu dünnhäutig für Ihren Beruf.«
    »Dünnhäutig!«, sagte Alice. »Das sehe ich aber anders. Du solltest ihn im Umgang mit den kranken Gemeindemitgliedern sehen, Maggie. Er ist ein wahrer Heiliger.«
    »Abgesehen jetzt mal vom Heiligsein: Es ist wirklich so«, sagte er. »Ich habe zwei oder drei Geschichten zum New Yorker geschickt und jedes Mal dieselbe Standardablehnung bekommen. Sowas stecke ich nicht einfach weg. Mir war schon klar, dass der New Yorker ein bisschen hoch gegriffen war, aber ich hatte mir so viel Mühe gegeben – und dann nur ein unpersönliches Schreiben?

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