Sommer in Maine: Roman (German Edition)
das für einen Verlust hielten, war Alice erleichtert, als sie weg waren.
Maggie
R hiannon reiste am nächsten Morgen schon vor sieben Uhr ab.
»Ich hoffe, dass ich die Sache mit Gabe nicht noch schlimmer gemacht habe«, flüsterte sie Maggie zu, die noch im Bett lag.
»Nein, nein. Es ist gut, dass du es mir gesagt hast«, log Maggie. Sie stand nicht auf und brachte Rhiannon nicht zum Auto. Das war nicht ganz in Ordnung, aber sie fühlte sich von dem, was Rhiannon ihr am Abend zuvor erzählt hatte, noch sehr verletzt.
Maggie hatte kaum geschlafen. Sie hatte sich die ganze Nacht lang vorgestellt, was es bedeuten würde, bald alleinerziehende Mutter zu sein, die junge Frau im Wartezimmer der Gynäkologin mit einem runden Bauch, aber ohne Ring am Finger. Würde es finanziell reichen? Ob Gabe Unterhalt zahlen würde? Vielleicht würde sein Vater ihr, um sie loszuwerden, einen Scheck über eine Million ausschreiben. Das wäre ihr ganz recht. Das einzige, was ihr schlimmer erschien, als das Kind alleine großzuziehen, war die Vorstellung, sich das Sorgerecht mit Gabe zu teilen und nicht zu wissen, was er dem Kind für Raupen in den Kopf setzte.
Nicht vergessen: Fortpflanzung mit Arschlöchern zukünftig vermeiden. Eventuell erst heiraten, dann Kinder machen.
Er hatte auf ihre E-Mail nicht geantwortet. Es waren zwar noch keine acht Stunden vergangen, und sie hatte ihn ausdrücklich gebeten sie in Ruhe zu lassen, aber trotzdem. Vor einer Stunde hatte sie überlegt, sich in sein E-Mail-Konto einzuloggen, um nachzusehen, ob er die Nachricht schon gelesen hatte. Wenn nicht, wäre es vielleicht besser, sie zu löschen. Aber dann hatte sie gefunden, dass das wirklich zu weit ginge, dass sie sich zu so etwas nicht herablassen dürfe. Schließlich hatte sie es natürlich doch versucht, aber der Scheißkerl hatte das Passwort geändert. Sie wusste, dass es verrückt war, aber sie war trotzdem beleidigt.
Maggie wollte nicht nach Brooklyn zurück, wo sie ein Leben ohne Gabe erwartete. Würde sie in der Wohnung bleiben? Oder in eine grässliche aber billige Mietwohnung in der Vorstadt ziehen?
Am späten Morgen wünschte sie sich nichts sehnlicher, als sich auf dem harten Holzfußboden zusammenzurollen und einfach so liegenzubleiben. Aber dann musste sie aufstehen, um sich zu übergeben, also schleppte sie sich unter die Dusche und wusch sich von der Angst rein, die sie in der Nacht überkommen hatte.
Maggie erinnerte sich daran, als Vier- oder Fünfjährige mit ihrer Mutter in einer gelben Plastikkabine gestanden zu haben. Sie hatten sich aus ihren Badeanzügen geschält, und der Sand war von ihren Körpern gerieselt und hatte sich beim Duschen um den Abfluss gesammelt. Kathleen hatte Maggies Kopf mit Shampoo bearbeitet, und sie hatten gekichert.
Ihre Mutter fehlte ihr.
Sie ließ sich das warme Wasser auf die Schultern prasseln und rieb sich sanft über den Bauch. Unter den Schichten der Angst lag etwas Unverhofftes und Wunderschönes, wie eine Krokusblüte, die als Ankündigung des Frühlings den Kopf aus dem Schnee streckt. Bald würde sie Mutter sein, und ihr Leben würde sich für immer verändern.
Maggie stieg aus der Dusche und blickte in den Badezimmerspiegel. Sie hatte dunkle Augenringe und dachte, dass sie eigentlich etwas Abdeckcreme auftragen müsse, aber sie hatte keine Lust. Die Haare würde sie sich auch nicht föhnen. Sie war am Strand, außerdem ging ihr Leben gerade in die Binsen. Wen wollte sie jetzt noch beeindrucken? Sie trocknete sich ab und schlüpfte in eine Jeans, wobei ihr die Kleider ins Auge fielen, die sie vor ein paar Tagen aus Gabes Schrank genommen hatte. Mittlerweile hatte sie gelernt, dass sich das Leben unheimlich schnell verändern konnte, und dennoch überraschte es sie immer wieder.
Ihr Blick blieb an dem rosafarbenen Wecker auf dem Nachttisch hängen. Hatte der nicht früher im Kinderzimmer ihrer Mutter gestanden? Am liebsten hätte sie sich wieder hingelegt, aber stattdessen machte sie sich zu einem Strandspaziergang auf den Weg. In Bewegung zu bleiben war bestimmt die beste Medizin gegen Wahnsinn.
Es war schon nach elf. Maggie setzte sich auf den Steg, ließ die Füße ins kalte Wasser baumeln und entdeckte zwischen den Felsen eine gestrandete alte Hummerfalle. New York war auf einem anderen Planeten.
Sie war umgeben von Gezeitentümpeln voller Strandschnecken und Algen, die das Wasser in Rot- und Grüntönen leuchten ließen. Maggie dachte daran, wie Chris und ihr Cousin Daniel
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