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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Fürchterliches passieren, das fühle ich.«
    Dann vergoss sie ein paar Krokodilstränen, die sie schon als Kind gegen ihre Mutter angewandt hatte, um sich vor lästigen Hausarbeiten zu drücken, und mit denen sie ihre Brüder manipuliert hatte, wenn einer von ihnen sie dabei erwischte, wie sie in seinen Sachen kramte.
    Ann Marie antwortete lange nicht, aber schließlich sagte sie: »Okay. Brauchst du noch was von Rubys Laden? Ich halte auf dem Rückweg da an. Wir haben kein Küchenkrepp mehr.«
    Wenig später war Ann Marie wieder da. Sie hatte eine Fahne und trug noch einen anderen Geruch ins Haus (Herrenparfum?). Ann Marie entschuldigte sich steif dafür, gemein gewesen zu sein, aber das Ganze habe sie sehr mitgenommen. Alice sagte nur, es sei schon in Ordnung.
    »Ich begreife einfach nicht, dass du das Haus verkaufen konntest.«
    »Spenden«, berichtigte Alice gelassen.
    »Ich begreif’s nicht.«
    »Du wiederholst dich.«
    »Und?«, sagte Ann Marie.
    »Und was?«
    »Hast du einen guten Grund dafür?«
    Alice unterdrückte ihre wachsende Empörung. Für wen hielt Ann Marie sich, dass sie sich erlaubte, solche Fragen zu stellen? Was ging sie das an? Sie hatte sogar einen verdammt guten Grund, aber wenn sie mit ihren Kindern darüber sprechen würde, würden sie es ihr nur ausreden wollen. Sie versuchte, freundschaftlich zu klingen, aber eigentlich hätte sie ihre Schwiegertochter am liebsten rausgeschmissen.
    »Beruhige dich«, sagte sie. »Wenn du so weitermachst, verschluckst du dich noch an deiner Zunge. Hör mir mal zu: Bis ich den Löffel abgebe, bekommt die Kirche gar nichts, und du weißt ganz genau, dass fiese alte Hexen wie ich steinalt werden. Bis dahin hat dein schneidiger Sohn Millionen gemacht und euch ein dutzend Strandvillen gekauft, von denen jede einzelne besser ist als die zwei hier.«
    Ann Marie lächelte nicht: »Ich bin ein guter Mensch, Alice. Ich habe das nicht verdient.«
    Alice hielt kurz inne, dann sagte sie: »Aber natürlich bist du ein guter Mensch. Wo sind übrigens Maggie und Kathleen abgeblieben? Was hältst du davon, wenn wir Spaghetti kochen, damit sie der Tomatensoße Gesellschaft leisten können?«
    »Meinetwegen«, murrte Ann Marie.
    Dann sprachen sie nicht mehr von dem Testament. Stattdessen redeten sie über Maggies Situation, und Ann Marie sagte, dass sie ganz außer sich sei – diesmal aber deshalb. Sie schalteten den Fernseher ein und taten so, als seien sie ganz von einer ziemlich schlechten Produktion von Stolz und Vorurteil gefesselt, die beide erst vor einem Monat gesehen hatten.
    Das Telefon klingelte stündlich, und Alice warf einen Blick aufs Display. Es war jedes Mal Patrick. Alice drückte ihn weg.
    »Geh ruhig ran«, sagte Ann Marie.
    Es war offensichtlich, dass Patrick nur tat, was seine Frau ihm aufgetragen hatte.
    »Ach nein, ich hab keine Lust«, sagte Alice. »Wahrscheinlich ist es sowieso nur wieder irgendein Inder, der mir was übers Telefon verkaufen will.«
    Der Kellner kam mit einem Brotkorb, und Alice bestellte eine Bloody Mary. Das Lokal füllte sich langsam. Es wäre unhöflich gewesen, den Tisch zu besetzen, ohne mehr als einen Tee zu trinken. Als der Kellner ihr den Rücken gedreht hatte, hob sie eine Ecke der Stoffserviette im Brotkorb und fischte drei winzige Marmeladenfässchen heraus, die sie sofort in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Dann winkte sie einen anderen Kellner herbei und sagte: »Könnte ich bitte Marmelade bekommen?«
    »Kommt sofort.«
    Ein Fahrer drückte auf die Hupe, und Alice zuckte zusammen. Auf den ersten antworteten andere Fahrer, und es entstand eine Symphonie aus Gehupe und Geschimpfe. Heutzutage fuhr sie nur noch selten so weit, aber als junge Frau war sie oft durch die Straßen von Portland geschlendert und mit Rita im Schlepptau von einem Laden in den nächsten gezogen. Aber heute war kein Verlass mehr auf ihre Augen. Auf der Strecke hierher hatte sie sie zusammengekniffen, um überhaupt die Straßenschilder zu erkennen, besonders am Anfang der Strecke, wo es neblig und grau gewesen war.
    Alice spürte eine Berührung auf der Schulter.
    »Hallo«, sagte Pfarrer Donnelly. »Danke, dass Sie kommen konnten.«
    Er sah besser aus denn je. Die jungen Leute in Anzügen am nächsten Tisch starrten auf sein Kollar. Hatten die denn noch nie einen Priester gesehen? Alice bereute, dieses Lokal ausgesucht zu haben, und konnte nur hoffen, dass er die Tischnachbarn nicht bemerkte.
    Sie richtete sich auf dem Stuhl auf: »Ich war

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