Sommer in Maine: Roman (German Edition)
nutzlos gefühlt. Vor ihr lagen vielleicht noch dreißig Lebensjahre, aber sie hatte keine Ahnung, was sie damit anfangen sollte.
Die Stimme der Barfrau drang zu Ann Marie durch: »Ihr Handy klingelt.«
Ann Marie öffnete die Augen und sah ihr Handy auf der Bar zittern.
»Entschuldige«, sagte sie zu Adam und löste sich von ihm. Sie kam sich plötzlich albern vor.
Ann Marie nahm das Handy in die Hand und sah Alices Nummer auf dem Display. Einmal tief eingeatmet, dann ging sie ran.
Alice entschuldigte sich nicht für ihr Benehmen. Stattdessen bat sie Ann Marie zurückzukommen, weil sie auf keinen Fall mit Kathleen allein sein wollte.
»Wenn du nicht zurückkommst, wird etwas Fürchterliches passieren«, hörte sie Alice sagen.
Das war nichts als Manipulation, so viel war klar, und Ann Marie hatte kein Interesse Alice wiederzusehen. Und trotzdem versprach sie ihrer Schwiegermutter, bald heimzukommen.
Dann fiel ihr die leere Küchenkrepprolle in der Küche vom alten Sommerhaus ein und sie überlegte, auf dem Rückweg auch gleich bei Rubys Gemischtwaren vorbeizufahren. Sie fragte Alice, ob sie sonst noch etwas brauchte und verfluchte sich im selben Augenblick dafür, dass sie trotz allem so verdammt zuvorkommend war.
Sie war immer noch sauer, aber was konnte sie schon tun? Nach Hause zu Pat fahren und nie wieder ein Wort mit seiner Mutter wechseln? In jeder Familie gab es Leute, die so etwas tun konnten und solche, die es nicht konnten.
Als sie Adam sagte, dass sie gehen musste, versuchte er noch, sie zu einer zweiten Runde zu überreden, aber der Zauber war gebrochen, und Ann Marie wollte nur noch zurück ans Meer. Dann fragte er sie nach ihrer Visitenkarte.
»Ich steh im Telefonbuch«, sagte sie. »Oder du suchst meine Website. Ann Marie Clancy Designs.«
Wie albern das klang. Sie errötete bei der Lüge, aber er schien es nicht bemerkt zu haben. Oder ließ sich einfach nichts anmerken. Stattdessen sagte er nur: »Es war eine Freude, mit Ihnen zu tanzen, Fräulein Clancy.«
Gegen drei Uhr des ersten Juli rief Pat sie von der New Hampshire Mautstelle an, um ihr zu sagen, dass er bald da sein würde und dass die Brewers zwei Wagen hinter ihm seien. Ann Marie machte einen letzten Kontrollgang durchs Haus, um sicherzugehen, dass auch alles tipptopp war. Dann öffnete sie einen Wein, um ihn atmen zu lassen. Sie schob die mit Speck umwickelten Muscheln in den Ofen, die sie am Morgen vorbereitet hatte. In geschmolzene Schokolade getauchte Erdbeeren standen auch bereit.
Dann blieb nur noch eines, das sie vor der Ankunft der Gäste erledigen wollte. Sie nahm einen Umschlag vom Tisch in der Eingangshalle. Eigentlich hatte sie die Karte, die sie aus dem Supermarkt mitgebracht hatte, ihrer Nichte schon am Vortag geben wollen, aber dann war die Zeit plötzlich so schnell vergangen. Außerdem war es gar nicht einfach, Maggie ohne Kathleen zu erwischen.
Ann Marie trat aus dem Haus und in die Sonne. Sie musste nicht lange suchen. Maggie saß unweit des Hauses am Fuß einer gewaltigen Pinie, kritzelte irgendetwas in ein Notizbuch und blickte zwischendurch übers Meer. Was sie da wohl schrieb?
»Maggie!«, rief Ann Marie.
Ihre Nichte drehte sich um.
»Bleib ruhig sitzen«, sagte sie, aber Maggie war schon aufgestanden und kam ihr entgegen.
»Ist das nicht ein wundervoller Tag?«, sagte Maggie, als sie sich auf dem Rasen trafen. »Kaum ist Juli – peng – da ist der Sommer da. Ich hab seit Jahren keinen so schönen Sommertag hier erlebt.«
Ann Marie dachte an die Monatsaufteilung und hatte ein schlechtes Gewissen. Ursprünglich hatten Pat und sie geplant, dass sich die Kelleherkinder mit den Monaten abwechselten, aber dann war es irgendwie zu kompliziert geworden. Außerdem hatten sie den Juli für sich haben wollen. Und Clare war noch an die Schulferien gebunden gewesen, also war für sie August ohnehin der beste Monat. Da war für Kathleen, Maggie und Chris eben der Juni übriggeblieben.
»Es ist wirklich besonders schön heute«, sagte Ann Marie. »Vielleicht könnte man sogar baden gehen, ohne zu erfrieren.«
Maggie lächelte.
»Dein Onkel und unsere Freunde sind auf dem Weg«, sagte Ann Marie. »Sie könnten jeden Augenblick eintreffen.«
»Es tut mir wirklich leid, dass meine Mutter so dickköpfig darauf besteht, noch zu bleiben«, sagte Maggie. »Ich würde ja abreisen, aber man kann nie wissen, was sie hier alleine anstellt. Ich bin ziemlich sicher, dass es nur noch ein paar Tage dauert. Sie will sich
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