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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Beine der Brennan-Frauen mitbekommen.
    Alice hörte durch die offene Verandatür das Fiepen des fertigen Trockners. Sie leerte ihr Glas und ging in die Waschküche.
    Das Radio war an, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, es eingeschaltet zu haben. Eine angenehme junge Männerstimme befragte einen Professor zum Problem posttraumatischer Belastungsstörungen unter den aus dem Irak zurückkehrenden Soldaten.
    »Das Wesentliche ist, darüber zu reden. Das ist viel wichtiger, als den meisten klar ist«, sagte der Wissenschaftler und zitierte eine Studie.
    Alice schüttelte den Kopf. Das war jetzt hochmodern: Reden, reden und nochmal reden. Aber was sollte es denn bringen, Schicksalsschläge durchzukauen, die niemand mehr ändern konnte? Ihre Brüder würden wahrscheinlich sagen, die Jungs sollten sich zusammenreißen und es nehmen wie Männer. Aber fragen konnte Alice sie jetzt nicht mehr.
    Ihre Tochter Kathleen hatte einmal gesagt, dass man viele aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrende junge Männer hätte retten können, wenn man ihnen erlaubt hätte, mit einem Therapeuten über ihre Erlebnisse zu sprechen. Aber das habe nicht in das damalige Bild eines Mannes gepasst. Das Ergebnis sei eine ganze Generation gebrochener Männer und frustrierter Säufer, die ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen hätten. Alice fand, dass diese Beschreibung eher zu Kathleens Altersgenossen passte, als zu Alices Generation. Bobby Kelly, Kathleens Lieblingscousin von Daniels Seite, war aus dem Vietnamkrieg wie ein junger uniformierter Errol Flynn zurückgekehrt und hatte sich auf einer Begrüßungsparty zwischen Luftballons und Leckereien wiedergefunden. Zwei Tage später hatte er erst seine Frau, dann sich selbst erschossen.
    Kathleen verstand nicht, dass der Zweite Weltkrieg ein anderer Krieg gewesen war. Jeder Junge ihrer Generation war dabei gewesen. Wenn sie jetzt ihre Enkelkinder fragte, ob einer ihrer Freunde im Irak sei, verneinten sie erstaunt, als sei das vollkommen abwegig. Als sie jung war, waren die jungen Männer stolz gewesen, ihrem Land dienen zu können und hatten sich dazu verpflichtet gefühlt. Sie wollten kämpfen.
    Wenn Alices Brüder auf Heimaturlaub waren, versuchten sie immer, Alice mit einem ihrer Kameraden aus der Armee oder der Marine zu verkuppeln. Alice machte mit, obwohl sie die Jungs, die sie ihr vorstellten, nicht ernst nehmen konnte. Sie wollte keine Familie gründen, und schon gar nicht mit einem von denen.
    Damals sagte man ihr noch, sie sei schön. Man lobte ihre schlanke Taille und die langen Beine. Sie hatte hellblaue Augen, helle Haut und dunkles Haar, das bis zur Rückenmitte reichte, und wünschte sich, eine Art Veronika Lake zu sein, die man für ihre Schönheit, Kunst und Lebenslust bewunderte. Sie glaubte, dass sie nur das Beste verdiente. Dass sie, Alice Brennan, eine ganz außergewöhnliche junge Frau sei und das irgendjemandem irgendwann einmal auffallen musste.
    Die sechs Brennan-Geschwister waren in relativer Armut aufgewachsen, aber sie hatten immer ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen auf dem Teller gehabt. Dann kam die Wirtschaftskrise. An einem Tag hatte ihr Vater seinen Job bei der Polizei, dann musste man ihn entlassen, dann hatte er Arbeit, dann wurde er entlassen. So ging das immer weiter. Entweder schob er aus Angst vor der vorhersehbaren nächsten brotlosen Zeit unmenschliche Überstunden oder lag arbeitslos, frustriert und betrunken auf dem Sofa. Dass er sie beschimpfte, war ganz normal, besonders, wenn er getrunken hatte. Als Kinder hatte er sie auch geschlagen, und Timmy und Michael hatten immer am meisten abbekommen. Alice erinnerte sich an Blut und blaue Flecke. Vor der Geburt des ersten der sechs Geschwister hatte es schon ein Baby gegeben, Declan. Eines Abends schlief ihr Vater mit dem Kleinkind neben sich im Bett ein, drehte sich irgendwann im Schlaf um, kam auf dem Kind zu liegen und erstickte den Jungen. Er war am Boden zerstört: »Hat sich nie erholt davon«, meinte Tante Rose. Er gab sich die Schuld. Ob als eine Art Buße oder aus Selbstschutz: Er ließ nie wieder eine enge Beziehung zu einem seiner Kinder zu.
    Alices Eltern waren stolz darauf, die ersten Hausbesitzer der Familie zu sein: Alices Großeltern väterlicher- und mütterlicherseits waren als irische Auswanderer nach Boston gekommen. Die Großmütter waren jung gestorben und die nichtsnutzigen Großväter waren alleine nicht zurechtgekommen. Ihre Eltern waren in Absteigen und den Gästezimmern

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