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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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gefesselt über die Planken ging.
    Dann kam der Krieg. Das Haus wurde still, nachdem die vier lärmenden Brüder gegangen waren. Bald stand sogar ihr geliebtes Paris unter der Herrschaft der Nazis, und Alice überlegte, wo sie stattdessen hingehen würde. Es waren nur wenige junge Männer zurückgeblieben, und ihr Vater hatte regelmäßig Arbeit. Sein Gehalt und das der Mädchen reichte aus, sodass sie keine Untermieter mehr aufnehmen mussten. Die Zimmer der Jungs ließen sie unberührt, als könnten die vier jederzeit nach Hause kommen.
    Die Trunksucht und die Wutausbrüche ihres Vaters verschlimmerten sich. Er machte Alice und Mary immer öfter die Hölle heiß, verlangte mehr Geld von ihnen, beschimpfte sie als fett und faul und brüllte sie so lange an, bis sie weinend auf ihr Zimmer rannten oder er auf dem Wohnzimmersessel im Suff das Bewusstsein verlor.
    »Wenn die Jungs hier wären, würde er sich das nicht trauen«, sagte Alice, obwohl sie wusste, dass auch ihre starken Brüder Angst vor ihm hatten.
    Alice ging jeden Morgen um fünf Uhr in die Kirche und betete, dass ihre Brüder gesund zurückkehren würden. Sie sprach den Text des Salve Regina in dramatischem Flüsterton, bis sie vom Beginn der Messe unterbrochen wurde: Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung, sei gegrüßt. Zu dir rufen wir verbannte Kinder Evas, zu dir seufzen wir trauernd und weinend in diesem Tal der Tränen … O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria! Bitte für uns, heilige Mutter Gottes, dass wir würdig werden der Verheißungen Christi.
    Ihr Glaube an Gott war stark und sie war fest davon überzeugt, dass er ihre Brüder beschützen würde, wenn sie nur ausreichend betete und lernte, ein guter Mensch zu sein. Sie versuchte, die negativen Gefühle zu unterdrücken, die sie viel zu oft heimsuchten: Neid, Habgier, Wut. Ihr Leben würde eine wundervolle Wendung nehmen, sagte sie sich, wenn sie nur geduldig blieb und Gott vertraute.
    Sie malte, wann immer sie konnte. Mary fand ihre Arbeiten mindestens so gut wie die von Degas, die sie im Gardner Museum immer wieder bewundert hatten und die Alice, jeder sanften Linienführung folgend, viele Male nachgezeichnet hatte. Alice fühlte sich geschmeichelt, aber manchmal fragte sie sich, wie wichtig Talent überhaupt war. Degas war in einer reichen französischen Familie aufgewachsen. Außerdem war er ein Mann. Ihm waren also große Romanzen in Paris beschieden, während Alice mit ihrer Schwester und den Eltern ein eintöniges Leben führte.
    »In unserer Familie kriegt man Europa nur zu Gesicht, wenn man eingezogen wird«, sagte sie eines Abends zu Mary, und sie lachten. Doch dann verstummten sie plötzlich und erinnerten sich ihrer lebensfrohen Brüder, die in diesem Augenblick vielleicht Gott weiß welchen Gefahren ausgesetzt waren, während Mary und Alice sich mit vom Bad noch feuchtem Haar im Nachthemd in ihre Betten kuschelten.
    In den Straßen, den Tanzlokalen und Kinos sah es nicht anders aus als zuhause: Es waren kaum junge Männer zu sehen. Nur die Jungs von der Küstenwache waren noch in Massachusetts, aber die nannte man feige und die Mädchen der Stadt wollten mit ihnen nichts zu tun haben. Manchmal gingen Alice und ihre beste Freundin Rita in eines der Tanzlokale und es war niemand da, der sie zum Tanz hätte auffordern können. Dann lachten sie viel, tanzten wild miteinander und vollführten einen Jitterbug, wie sie es sich in Gegenwart der Männer nie getraut hätten. Rita war frisch verheiratet und wartete auf die Rückkehr ihres Mannes, der auf irgendeinem Kriegsschiff war. Dann würde für die Arme das Eheleben beginnen, und der Spaß wäre endgültig vorbei.
    In jenem Winter, in dem junge Männer so selten waren wie blühender Flieder, fand Mary einen. Henry Winslow war eines späten Vormittags zu einer Besprechung mit ihrem Chef in Marys Büro spaziert. Er hatte sie sofort um die Erlaubnis gebeten sie zum Mittagessen einzuladen, und Mary hatte angenommen.
    Als sie am Abend Alice davon erzählte, sah die sie nachdenklich an.
    »Was ist denn?«, fragte Mary.
    »Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
    »Ach ja?«
    »Er könnte ein Massenmörder sein!«, sagte Alice. »Oder ein Zigeunerjunge. Ich habe dir so viele Jungs vorgestellt, aber du hast sie alle abgelehnt. Und jetzt gehst du plötzlich mit einem Fremden aus?«
    Mary streckte ihr die Zunge raus. »Vielleicht wollte ich mir selber einen suchen. Er hat mich gefragt, ob ich am Freitag mit

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