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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Richards Warnung.
    Irgendwann lud er Mary und Alice dann endlich zu einem Tagesausflug zur Strandhütte ein, wie er das Haus seines Vaters in Newport nannte. Mary buk einen Heidelbeerkuchen für seine Mutter und fummelte stundenlang an ihrer Frisur herum. Die »Hütte« war eine Villa mit zehn Zimmern, Bediensteten und einem Tennisplatz. Aber Henrys Eltern waren gar nicht da. Anwesend waren nur seine Schwestern und ein paar Freunde, von denen einer zwei dicke, schmuddelige Zweijährige mitgebracht hatte. Henry machte sie auf der Terrasse bekannt: »Darf ich vorstellen: Meine liebliche Mary und ihre Schwester, die Malerin Alice.«
    Henry hatte Europa als Kind oft besucht, und als Alice ihm von ihrem Traum erzählte, nach Paris zu gehen, sagte er: »Weißt du was, Kleine: Sobald dieser mörderische Wahnsinn vorüber ist, zeige ich euch Paris.« Das meinte er tatsächlich ernst. Alice kniff ihre Schwester in den Arm und malte sich eine Zukunft voll neuer Möglichkeiten aus.
    Später gingen alle zum Wasser hinunter. Wie erwartet nahmen die Kleinen Mary sofort in Beschlag, und in kürzester Zeit hielt sie links und rechts je eine kleine, pummelige Hand.
    »War Mary eigentlich schon immer so perfekt?«
    »Ja«, brummte Alice.
    »Gar nicht so einfach für dich, was?«
    »Naja, neben ihr wirke ich halt manchmal wie ein Monster.«
    »Ich glaube, wir sind uns ähnlich, du und ich. Wir stehen gern im Mittelpunkt.«
    Vielleicht fühlte er sich deshalb zu Mary hingezogen. Henry gehörte zu der Sorte Mann, die ein ausgeglichenes Mädchen sucht, die sich kümmerte, kochte und sich ans Krankenbett setzte, sobald ihm ein bisschen die Nase lief.
    »Kann schon sein«, sagte Alice und blickte den strahlendweißen Strand entlang. Bei den Reichen war selbst der Sand schöner.
    »Ohne sie wäre ich verloren«, sagte Henry. »Frauen können grausam sein, und keiner lässt sich seine Zerbrechlichkeit gerne vorführen.«
    »Was meinst du damit?«, fragte Alice.
    »Als ich im Baseballteam von Harvard war, haben sich die Mädchen um mich gerissen. Aber dann passierte das da«, er zeigte auf seinen Fuß, »und ich dachte, dass der Zug für mich abgefahren ist.«
    Alice schüttelte den Kopf: »Bei einem wie dir? Das meinst du nicht ernst. Da draußen laufen doch zigtausende herum, die gerne für dich die Florence Nightingale spielen würden.«
    »Genau darum geht es«, sagte er. »Ich wollte jemanden, der mich so sieht, wie mich die Mädchen vor dem Unfall gesehen haben. Und genau das tut Mary.«
    Da ließ Alices Neid nach. Er hatte natürlich recht: Ihre Schwester hatte nie über seine Behinderung geklagt und auch nicht darüber, dass Henry sich manchmal vor Schmerzen kaum bewegen konnte.
    Wären da nicht die Geschenke gewesen, hätte dieses Gespräch ihrem Neid vielleicht ein Ende gesetzt. Alice bemühte sich, nicht neidisch zu sein, wenn Mauerblümchen-Mary die neue Nerzstola, das Silberkettchen mit Herzanhänger und die taubengrauen, fellgefütterten Wildlederhandschuhe mit passenden Absatzschuhen anzog, ohne wirklich Notiz davon zu nehmen, weil sie sich für dergleichen ja niemals interessiert hatte.
    »Es muss schön sein, wenn einem jemand alle Träume erfüllt«, sagte Alice eines Tages, während sie ihrer Schwester vor der Arbeit beim Ankleiden zusah.
    »Ach, du weißt ja, wie wenig mir diese schicken Sachen bedeuten«, sagte Mary, und Alice kochte innerlich.
    »Gib nicht so an«, sagte sie.
    Mary sah sie erstaunt an: »Oh, hab ich angegeben? Die Handschuhe habe ich übrigens selbst bezahlt. An ihnen liegt mir etwas. Abgesehen davon will ich nichts als Henry.«
    Es vergingen weitere sechs Monate, ohne dass er um ihre Hand anhielt oder sie auch nur seinen Eltern vorstellte.
    »Das Geschäft meines alten Herrn hat Rückschläge erlitten«, erklärte er Mary. »Ich weiß, dass er dich früher oder später ins Herz schließen wird, aber jetzt ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt für Herausforderungen.«
    Mary liebte Henry, und Alice beobachtete, dass die Stimmungsschwankungen ihrer Schwester zwischen höchstem Glück und tiefstem Kummer ganz von ihm abhingen. Mary gab sich gelassen, aber insgeheim war sie sicher, dass seine Familie einer Heirat niemals zustimmen würde. Manchmal weinte sie abends im Bett, und Alice dachte bei sich, wenn das die große Liebe war, war es eine grausame Angelegenheit.
    Auch Alice machte sich Sorgen: Sie wünschte sich mindestens so sehr wie ihre Schwester, dass Mary und Henry heirateten. Dann würde Mary

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