Sommer in Maine: Roman (German Edition)
für ihre Mutter die Enkelkinder produzieren, und Alice konnte tun, was sie wollte. Henry und Mary würden sie, bis sie auf eigenen Füßen stand, finanziell unterstützen, und vielleicht kannte Henry ja noch mehr potentielle Käufer wie Richard.
Irgendwie schaffte Mary es weiterhin, sich um den Haushalt zu kümmern, und besorgte nach wie vor das Kochen, Nähen und Putzen. Sie lud Henry nur selten zu sich ein. Alice sah den Grund dafür darin, dass sie in einfachen Verhältnissen lebten und Mary sich vermutlich für das Benehmen ihres Vaters würde schämen müssen. Einerseits konnte Alice das verstehen, aber andererseits verletzte es sie auch. Henrys Urteil bedeutete Mary so viel. Es kam Alice vor, als lebe Mary in zwei Welten, und Alice gehöre zufällig zu derjenigen, die Mary hinter sich lassen wollte. Deshalb rief sie sich immer wieder Henrys Worte ins Gedächtnis: Eines Tages würden sie nach Paris fahren.
Alice beobachtete, wie sich eine Freundin nach der anderen mit großer Vorfreude ins Eheleben stürzte. Sogar Trudy vom Gemeinschaftsanschluss hatte einen netten jungen Militärarzt kennengelernt und packte ihre Sachen, um in ein Haus in Winthrop zu ziehen. (Alice fühlte sich verraten, obwohl sie sich dabei albern vorkam.)
Alice wollte mit dem Hausfrauendasein nichts zu tun haben. Sie wollte sich nicht in einem Haus voll Rotznasen einsperren lassen, um einen Mann zu bedienen, den sie Jahr um Jahr weniger ausstehen konnte. Aber sie war zweiundzwanzig und hatte den Eindruck, dass genau das von ihr erwartet wurde. Deshalb wurde es auch mühsamer, mit Männern auszugehen. Sie hatte immer Verehrer gehabt und traf sich weiterhin mit manchen von ihnen. Aber die jungen Männer, die sie jetzt umwarben, waren größtenteils dieselben wie schon zu High-School-Zeiten, und entweder waren sie nur kurz auf Heimaturlaub in der Stadt oder mit ihnen stimmte etwas nicht: Sie hatten einen Sehfehler oder einen nervösen Tick und konnten nicht einmal in den Krieg ziehen.
Alice erhielt viele Briefe. Manche junge Männer, mit denen sie nur ein- oder zweimal ausgegangen war, schrieben ihr jetzt Liebesbriefe, in denen sie ankündigten, nach dem Krieg eine ehrbare Frau aus ihr zu machen. Sie antwortete pflichtgemäß, erklärte den jungen Männer aber auch, dass große Entfernung die Realität oftmals verzerre und die gemeinsamen Kinoabende und die Nachmittage in der Eisdiele damals so toll doch gar nicht gewesen seien.
In Alices Wandschrank lag eine Taschenbuchausgabe von Alleine leben und es lieben , dem Buch, von dem Trudy am Telefon geschwärmt hatte. Sie blätterte oft darin und las Mary hier und da daraus vor: Laut Marjorie Hillis, der Redakteurin von Vogue , hatte das Leben alleine »anderen Lebensentwürfen gegenüber keinerlei Nachteile, war aber dem Wohnen mit zu vielen anderen Personen oder nur einem einzigen falschen Wohnpartner unbedingt vorzuziehen.«
Alice las Mary eines Abends im Bett mit gekünstelter, an Trudy erinnernder Stimme aus dem Buch vor: »Man kann sich schamlos verwöhnen, aber von dieser Gelegenheit machen leider nur die wenigsten alleinstehenden Frauen Gebrauch. Selbstlosigkeit braucht ein Gegenüber, wie so manche Dinge, die das Leben bereichern. Dafür können Sie als Alleinstehende in ihren vier Wänden tun und lassen, was sie wollen. Es geht darum, sich sein Leben je nach Bedürfnis so einzurichten, dass es einem gefällt.«
Sie blickte lächelnd von dem Buch auf. In ihrer Vorstellung sah sie eine Wohnung, ihre Wohnung, mit sauberer Bettwäsche im Schlafzimmer, rosafarbenen Handtüchern im Bad und in jeder Ecke Leinwände, die nur darauf warteten, von ihr bemalt zu werden.
»Stell dir das mal vor«, sagte sie zu ihrer Schwester.
Mary schüttelte traurig den Kopf: »Das wär nichts für mich«, sagte sie. »Ich will mein Leben mit jemandem teilen.«
Alice seufzte. »Ich weiß.«
Dann wurde Mary still und irgendwann merkte Alice, dass sie weinte.
»Was ist denn?«, fragte sie.
»Ach, nichts. Lass uns jetzt schlafen.«
»Mary, was ist los?«
»Du wirst es ja doch nicht verstehen.«
»Komm schon.«
»Ich habe Dinge getan, die eine Frau nicht tun darf«, sagte Mary. »Ich habe auf die schlimmste Weise gesündigt. Aber ich liebe ihn doch, und ich kann einfach nicht begreifen, dass es falsch sein soll, mit ihm – ach, schlaf jetzt, Alice.«
Alice reagierte nicht. Ihr Körper zitterte vor Wut. Sie hatte eine ganze Menge Jungen geküsst, aber ihre Unschuld würde sie sich bis zur Ehe
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