Sommer in Maine: Roman (German Edition)
bewahren. Geschlechtsverkehr machte ihr Angst: Der körperliche Ablauf, und erst das Risiko. Ein Mädchen aus der Nachbarschaft, Bitsy Harrington, hatte sich eines Abends auf dem Rücksitz eines Plymouth von einem Seemann schwängern lassen, der ihr erzählt hatte, dass sich ihre Herzen auf diese Weise vereinen würden. Rita und die anderen hatten über Bitsy gelacht, aber Alice fragte sich, ob sie es besser gewusst hätte. Sex war ihr ein Rätsel. Als sie mit vierzehn ihre Periode bekam, war sie im Glauben, sie verblute, weinend nach Hause gerannt.
Ihre Schwester war früher ebenso ahnungslos gewesen, aber jetzt erklärte sie ihr plötzlich, sie habe es mit Henry getan. Mary ließ Alice hinter sich zurück, und Alice fühlte sich wie ein dummes Kind, obwohl doch alle wussten, dass eigentlich Alice die kultiviertere der beiden war. Außerdem durfte man das Problem der Ewigkeit nicht vernachlässigen: Ihre Schwester versündigte sich schwer und gab sich ewiger Verdammnis preis. Und wofür?
Alice wollte wissen, wo sie es getan hatten. Würde er ihre Schwester jetzt überhaupt noch heiraten? Beim Gedanken daran wurde ihr schlecht. Vielleicht hatte Mary ihnen alles verdorben.
Am nächsten Morgen ging Alice zur Messe und betete nicht nur, wie sonst, für ihre Brüder, sondern zündete auch für Mary eine Kerze an.
Die Wochen vergingen, und der Oktober kam und mit ihm der erste kühle Herbstabend. Nach der Arbeit saßen sie wie gewöhnlich mit den Eltern am Tisch. Mary hatte ein Brathuhn gemacht, dazu gab es Kartoffelbrei. Alice aß schnell, um sich so bald wie möglich mit dem Telefon in die Speisekammer zurückzuziehen und zu erfahren, wie es bei Trudy gelaufen war: Sie hatte vorgehabt, ihrem Chef ihre Pläne vom Umzug in die Vorstadt und der Familiengründung zu eröffnen und auch gleich zu kündigen. Das hatte Trudy ihrer Freundin am Abend zuvor angekündigt, und gesagt, dass er hoffentlich nicht durchdrehen würde. Alice verstand nicht, warum er das tun sollte. Konnte es so schwer sein, eine neue Sekretärin zu finden?
Sie sagte zu Mary: »Trudy hat ihrem Chef heute erzählt, dass sie Adam heiraten wird.«
»Und, wie hat er reagiert?«
»Nach dem Abendessen werden wir es wissen.«
Mary lächelte: »Dass du es dir da verkneifen konntest, dich mit dem Telefon an den Tisch zu setzen.«
Alice biss in die Hühnerkeule: »Das hätt ich glatt gemacht, wenn das Kabel lang genug wäre.«
»Alice«, sagte ihre Mutter. »Was redest du denn da? Reich deinem Vater die Erbsen.«
Der saß am anderen Ende des Tisches, las Zeitung und hatte schon ein paar Whiskey getrunken. Er war eine halbe Stunde zuvor von der Eckkneipe kommend hereinspaziert und hatte ausgesehen, als suche er Streit. Aber jetzt sah es eher so aus, als würde ihm jeden Augenblick der Kopf in den Kartoffelbrei fallen.
Alice stellte ihm, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, die Erbsen vor die Nase. Sie fuhr fort: »Trudy meint, dass Adam sie nur gefragt hat, weil er bald wieder an die Front muss. Ganz schön unromantisch, finde ich.«
»Das sehe ich anders«, sagte Mary. »Antrag ist Antrag.«
»Vielleicht hätte Henry dich auch schon gefragt, wenn er eingezogen worden wäre.«
»Alice!«
»Naja – wann glaubst du denn, dass er endlich fragt? Ein Jahr ist schon vergangen. Was hält ihn denn zurück?«
Ob er einer dieser reichen Stinker war, die dachten, sie könnten ihr Mädchen ewig an der Nase herumführen? Aber eigentlich war Henry nicht der Typ dafür.
»Also wirklich, Alice, was du so von dir gibst!«, sagte Mary ärgerlich, aber dann lachte sie doch: »Warum hast du es so eilig, mich loszuwerden?«
Alice dachte: Ganz einfach: Je eher du verheiratet bist und Kinder kriegst, desto eher bin ich frei und kann mein Leben leben.
Aber das konnte sie nicht sagen, es würde egoistisch klingen. Also antwortete sie nur: »Das stimmt doch gar nicht.«
Plötzlich ertönte die barsche Stimme ihres Vaters vom Tischende: »Schluss mit dem Geschwätz!«
Ihr Vater blickte mit glasigen Augen von der Zeitung auf. Er wischte sich die Nase am Handrücken ab und räusperte sich: »Jeden Abend muss die Mutter euer albernes Gewäsch über eine goldene Zukunft über sich ergehen lassen. Ich habe die Schnauze voll davon. Ihr lebt in einer lächerlichen Traumwelt.«
Es war widerlich, wie er faselte und auf Mary herumhackte, die doch keiner Fliege etwas zuleide tun würde.
Alice versuchte, ihn abzulenken: »Hey Papa, was meinst du: Wie wird es für die Red Sox
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