Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Wald.
»Jetzt reicht’s!«, rief sie ihm nach. »Das bedeutet Krieg!«
Ihr Herz klopfte, und plötzlich kam sie sich albern vor, wie sie mit dem Küchenmesser in der Hand im Blumenbeet stand und einen unsichtbaren Gegner anbrüllte. Sie richtete sich auf, glättete ihre Bluse und ging ins Haus zurück, um das Mittagessen fertig zu machen.
Maggie
M aggie stand seit zwanzig Minuten wie eine arme Verrückte vor Gabes Haus. Dann winkte sie ein Taxi herbei und fing, als sie sich ihrer Niederlage bewusst wurde, leise zu weinen an. Sie nannte dem Fahrer ihre Adresse und hätte beinahe erklärend hinzugefügt: »Ich bin schwanger«, aber das wäre doch ein bisschen zu dramatisch gewesen.
Sie wünschte, sie hätte überreagiert. Es durfte nicht Gabes Schuld sein. Wenn es doch an ihm lag, dann sollte er ihr einen eindeutigen Trennungsgrund liefern: Sie nicht nur belügen und heimlich Drogen nehmen, sondern sie mit einer anderen betrügen. Sie nicht nur ein bisschen zu fest bei den Schultern packen, sondern ihr ins Gesicht schlagen.
Sie hatte lange gewartet, aber jetzt war dieser Trennungsgrund wohl da. Er wollte nicht mit ihr zusammenziehen, auch, wenn es das Ende ihrer Beziehung bedeutete. Sie war von ihm schwanger, und jetzt war sie allein. Was für ein Mistkerl. Was für ein chronisch jede Verantwortung meidendes, unreifes Arschloch. Und wie verrückt musste sie sein, dass sich ein Teil von ihr schon wieder wünschte, anders reagiert zu haben und einfach gesagt zu haben: »Okay, ist in Ordnung, dann ziehen wir eben nicht zusammen«? Dann könnten sie morgen nach Maine fahren und ihre Liebe wiederentdecken. Seit zwei Jahren versuchten sie es jetzt, obwohl es wirklich nicht immer leicht gewesen war.
Wie ihre Mutter einmal gesagt hatte, als Maggie sie nach einem Streit mit Gabe weinend anrief: »Ich weiß, dass du dir ein Zuhause und eine eigene Familie wünschst, aber du musst das jetzt loslassen. Hühnerdreck kann man noch so lange kochen: Hühnersuppe wird es nie.«
Typisch Kathleen. Sie brachte ständig solche Sprüche, die theoretisch bestimmt ganz richtig waren, aber null praktischen Wert hatten. Auf Kaffeetassen und Geschirrtücher gedruckt und auf handgeschriebenen Zetteln an den Kühlschrank geklebt – Kathleens Küche war mit Anonymen-Mantras gepflastert: Ein Schritt nach dem anderen. Leben und leben lassen. Bleib dir selbst treu.
In ihren dunkleren Momenten dachte Maggie, dass ihre Mutter eigentlich nur eine Sucht gegen eine andere eingetauscht hatte: Der Stolz und die Selbstgerechtigkeit der Nüchternen ersetzte ihr die schnelle Erlösung durch Alkohol. Aber dann erinnerte sie sich an bestimmte Augenblicke ihrer Kindheit: Zum Beispiel, wie ihre stockbesoffene Mutter bei der Hochzeit einer Cousine im Vorgarten umgekippt war. Oder wie sich ihre Eltern im Sommerhaus in Maine mit Margaritas zugedröhnt, laut gelacht und gesungen hatten, sich danach wie immer bis nach Mitternacht gestritten und Maggie erlaubt hatten, lange aufzubleiben (oder vielmehr: sie einfach vergaßen), was zugleich aufregend und beängstigend gewesen war.
Als Kathleen dann zu den ersten Anonymen-Treffen gegangen war, fing sie mit Yoga an und braute aus Heilkräutern alle möglichen Mittelchen zusammen: Ringelblume und Zaubernuss gegen Chris’ Akne, getrocknete und gemahlene Brennnesselblätter mit Pflaumenöl gegen Maggies Heuschnupfen. Nie hatten sich zwei Jugendliche mehr nach Clearasil und Antihistaminika gesehnt.
Zu ihrem sechzehnten Geburtstag schenkte Kathleen Maggie einen Traumfänger und Maggie konnte sich gerade so verkneifen, ihrer Mutter ins Gesicht zu sagen, wie dumm und klischeehaft sie das fand. Ihre Cousine Patty hatte im selben Jahr ein Auto bekommen, dabei hatte sie noch nicht einmal den Führerschein. Zuerst war Maggie sauer, aber dann sah sie, wie ungerecht das war: Ihre Mutter hätte ihr vielleicht auch einen Toyota Camry gekauft, wenn sie das Geld gehabt hätte. Maggies Gewissen plagte sie so, dass sie damals beschloss, den Führerschein nicht zu machen. Bis heute, sechzehn Jahre später, konnte sie nicht Auto fahren.
Jetzt hatte Kathleen sich nach Kalifornien abgesetzt. Maggie wusste, warum ihre Mutter weggegangen war. Dennoch erschien es ihr manchmal wie ein Beweis dafür, dass Kathleen Arlo, den sie damals kaum kannte, ihren Kindern vorzog. Maggie kannte dieses Gefühl von früher, wenn Kathleen sie bei Ann Marie abgab, um sich mit irgendwelchen Männern zu treffen. An diesen Abenden saß Maggie mit ihren
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