Sommer in Maine: Roman (German Edition)
würde, wenn es mit Gabe wirklich aus war und sie die Geister ihrer gemeinsamen Vergangenheit hier heimsuchten. Sie hatten sich durch die Wohnung kennengelernt und jeder Zentimeter erinnerte sie an ihn.
Die Geschichte hörten alle immer gern. Ihre Freunde baten sie oft, sie auf Partys zu erzählen und nannten sie filmreif. Gabe war ihr Vormieter gewesen, und auch noch Monate nach seinem Auszug flutete seine Post ihren Briefkasten. Zu dem Zeitpunkt hatte sie noch nichts veröffentlicht. Stattdessen hatte sie einen kleinen Stapel Standardablehnungen von allen möglichen Literaturzeitschriften. Ein paar davon waren mit kurzen, handschriftlichen Ermutigungen versehen. Beim ersten Lesen hatten sie diese Korrespondenzen überglücklich gemacht, doch wenige Stunden später wurde ihr dann klar, dass sie sich darüber gefreut hatte, abgelehnt worden zu sein, wenn auch mit netten Worten. Zur gleichen Zeit kamen für Gabe dutzende Briefe des New Yorker Verlagshauses Simon & Schuster an, und sie fragte sich, was sie wohl enthielten: Fette Schecks als Vorauszahlung vielleicht, Lizenzabrechnungen oder Angebote von Verlagen aus der ganzen Welt für den Kauf von Übersetzugsrechten? Sie hatte keinen der Briefe geöffnet. Daran erinnerte sie ihn später, als er meinte, das Schnüffeln sei bei ihr genetisch veranlagt. Es war nicht biologisch, sondern situationsbedingt. Jede halbwegs vernünftige Frau fing an, nach Beweisen für Treuebruch zu suchen, wenn sie erst mal ein paar kleine Lügen aufgedeckt hatte. »Wer schnüffelt, der findet«, hatte er verächtlich gesagt. Tja , hatte Maggie gedacht, in deinem Fall ist es tatsächlich so.
Aber egal. Damals ermutigten die an ihn gerichteten Briefe sie. Es gab hier also einen New Yorker Autor, der nicht nur einen Verleger gefunden hatte, sondern dem das so egal sein konnte, dass er es nach seinem Umzug nicht einmal für nötig gehalten hatte, seine neue Adresse zu hinterlassen. Sie stellte ihn sich als zurückgezogenen, brillanten Denker vor und war dankbar, in seiner ehemaligen Wohnung leben zu können. Ihre Vorstellung von ihm half ihr beim Schreiben, half ihr, weiterzumachen. Ihren Freunden gegenüber nannte sie die literarischen ehemaligen Bewohner der Nachbarschaft scherzhaft ihre Musen: Truman Capote, Walt Whitman, Carson McCullers und Gabe Warner, dessen Buch sie aus irgendwelchen Gründen noch in keiner Bücherei hatte ausfindig machen können.
Als ihre Kurzgeschichtensammlung verkauft war und zum Druck sollte, wollte sie den Band ihrer Mutter widmen, doch damit hätte sie ihren Vater verletzt. Beide Namen nebeneinander war auch keine Option, denn schließlich hatten die beiden es seit Maggies Ballettaufführung in der fünften Klasse nicht mehr gemeinsam in einem Raum ausgehalten, und so wäre es doch gemein gewesen, sie für immer und ewig nebeneinander auf eine Buchseite zu bannen. In letzter Minute entschied sie also, es einem Unbekannten zu widmen: Für Gabe Warner, wer auch immer Sie sind. Ihretwegen konnte ich an ein Leben als Schriftstellerin glauben. Ihre Mutter war beleidigt, aber da konnte man nichts machen.
Gabe erfuhr davon durch einen Freund, der ein Leseexemplar erhalten hatte. Also tauchte er in Jeans und seiner schicken Wildlederjacke mit Ellenbogenaufsätzen bei ihrer Veröffentlichungsfeier auf, und wie immer sah der Mistkerl genauso umwerfend aus, wie er überheblich war. Er ging direkt auf sie zu und sagte in seinem präzisen Privatschulakzent: »Sie müssen Mary Doyle sein.«
Erst als sie später in ihrem Bett in seinem ehemaligen Schlafzimmer lagen, fand sie heraus, worum es sich in den Briefen von Simon & Schuster gehandelt hatte: Es ging um ein Handbuch mit dem Titel Geschmackvolle Aktfotografie für den Heimprofi mit Tipps zum Kaschieren von Speckröllchen, zur richtigen Raumbeleuchtung, zur Verwendung von Requisiten und dem Umgang mit Beweismaterial, wenn es in der Beziehung knisterte oder man für ein öffentliches Amt kandidieren wollte. Ein junger Lektor und Freund von Gabe hatte ihm den Job angeboten, und Gabe hatte zugesagt, weil ihn das Projekt amüsierte. Zu einer Veröffentlichung war es allerdings nicht gekommen, weil Gabe natürlich nie etwas eingereicht hatte. Die ungeöffneten Briefe, die Maggie so inspiriert hatten, waren Mahnungen: Wenn er dem Verlag kein Manuskript zukommen ließ, würden sie den Vorschuss einklagen.
Gabe hatte New York und die Wohnung verlassen, um einer Frau nach Boulder zu folgen. Aber als Maggies Buch erschien, war
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