Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Gleichgültigkeit, mit der er das sagte, trieb ihr Tränen in die Augen.
»Und nimmst du immer noch Drogen?«, fragte sie.
»Mann Maggie, jetzt lass mich doch mal in Ruhe.« Dann wurde sein Ton sanfter: »Schon seit Jahren nicht.«
»Wann zum letzten Mal?«
»Weiß ich nicht mehr«, sagte er. »Komm schon, Maggie. Ich liebe dich doch. Muss das denn sein?«
»Und was ist das für eine Geschichte mit Golfschlägern und CDs? Das ist Versicherungsbetrug. Ich begreife das nicht. Du hast das Geld ja nicht mal gebraucht.«
»Verdammt, Maggie, bist du die Geheimpolizei oder was?« Jetzt wurde er lauter. »Hast du mit Anfang zwanzig denn gar keine Dummheiten gemacht?«
Die Antwort war, wie sie beide wussten, Nein.
Er schaltete den Fernseher aus und ließ die Fernbedienung auf den Boden fallen.
»Ich möchte, dass du morgen früh gehst«, sagte er. »Mir reicht’s. Ich bring dich gleich nach dem Aufstehen zum Bahnhof. Mich nimmt schon jemand mit zurück.«
Eigentlich hatten sie noch drei Tage bleiben wollen, um seine Eltern und seine ältere Schwester zu besuchen, aber so bestrafte er sie immer. Er stieß sie von sich und verlangte, dass sie ging, weil er wusste, dass sie das nicht aushielt.
Die Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Okay«, sagte sie trotzig. Und schon bereute sie, was sie getan hatte: Er hatte gesagt, dass er sie liebt, und sie hätten sich fast wieder versöhnt, aber sie konnte ja keine Ruhe geben.
Kurz darauf war er eingeschlafen. Doch sie fand vor Grübelei bis zum Morgengrauen keinen Schlaf. Hatte sich das Bild ihrer streitenden Eltern in ihr Bewusstsein gebrannt, die sich am Frühstückstisch oder bei einem Baseballturnier ihres Bruders anbrüllten, bis einer davonstürmte, nur um sich wenige Stunden später wieder zu versöhnen? Erklärte das ihre Auseinandersetzungen mit Gabe? Warum fühlte sie sich von einem trinkenden, reizbaren Mann angezogen, wenn doch genau das die Eigenschaften ihrer Eltern waren, die sie am meisten geängstigt hatten? Ihre Mutter meinte, dass Alkoholiker sich gerne mit Gleichgesinnten umgaben, weil sie sich dann einreden konnten, normal zu sein. Vielleicht war das auch bei Alkoholikerkindern der Fall.
Wie so oft in solchen Situationen dachte Maggie an ihre Cousine Patty. Das Kind der ausgeglichenen, allzeit zufriedenen Tante Ann Marie und Onkel Pat hatte sich wie selbstverständlich in Josh, ihren liebevollen, sanften Kommilitonen aus dem Jurastudium, verliebt und ihn geheiratet. Vielleicht war es wirklich so einfach: Gutes Vorbild – Glück; schlechtes Vorbild – Verzweiflung.
Ihre Seelenklempnerin hatte einmal gesagt, dass die richtige Beziehung keine Mühe machte. Es passte einfach. Und Maggie wäre fast rausgerutscht, dass die Therapeutin keine Arbeit hätte, wenn wahre Liebe so einfach wäre.
Das Problem war, dass man Menschen nicht in ihre Einzelteile zerlegen konnte, um sich dann herauszupicken, was einem gefiel. Manche von Gabes Eigenschaften liebte sie so sehr, dass sie ihn am liebsten für immer an sich binden wollte, obwohl sie ja wusste, dass das nicht ging. Die Vorstellung, der Tod könne ihn als Neunzigjährigen vor ihr ereilen, brachte sie sogar zum Weinen.
Gegen sieben regte er sich, und sie schmiegte sich an ihn und bewegte die Hand über seinen Bauch und unter das Gummiband seiner Shorts.
»Bist du wach?«, fragte sie. Wie konnte sie sich so nach ihm sehnen, wenn er doch direkt neben ihr lag?
Er brummte.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte nicht so ein Theater machen sollen.«
Gabe öffnete die Augen und grinste: »Das war echt oscarreif.«
Bei diesen Worten überkam sie eine wohlvertraute Erleichterung: Der Streit war vorbei und sie waren noch zusammen. Maggie zog ihm die Shorts aus, setzte sich auf ihn und küsste seinen Hals. Er half ihr aus dem T-Shirt und leckte ihre Brustwarzen in kleinen Kreisen. Sie liebten sich und danach ließ er das Frühstück aufs Zimmer kommen und brachte sie mit der Geschichte von Cunninghams Freundin Shauna zum Lachen, die in der vergangenen Nacht betrunken auf einer Eisskulptur eingeschlafen war.
»Und? Darf ich bleiben?«, fragte sie mit einer Kinderstimme, die sie selbst anwiderte.
»Benimmst du dich?«
»Ja«, antwortete sie brav.
»Sehr gut. Ich kann es nämlich nicht ertragen, von dir getrennt zu sein.«
»Ich auch nicht.«
Danach lief es ein paar Monate lang gut. Gabe überraschte sie mit Tickets für ein langes Wochenende in Berlin, und sie verbrachten wunderschöne Tage in Galerien
Weitere Kostenlose Bücher