Sommer in Maine: Roman (German Edition)
und Cafés. Sie wohnten in dem Fünf-Sterne-Hotel, in dem die Dreharbeiten zu Menschen im Hotel mit Greta Garbo stattgefunden hatten. (Das musste Maggie natürlich ihrer Großmutter in einer Postkarte erzählen.) Sie bewunderte, wie leicht Gabe Zugang fand und die Menschen bezauberte und war stolz, dass er sich sie ausgesucht hatte.
Aber dann waren sie wieder in New York und eines Freitagabends sagte er ihr ab. Er sei erkältet. Sie bot an, mit einer Suppe rüberzukommen, aber er war angeblich müde und wollte sie nicht anstecken. Kurz vor zehn rief er sie nochmal an und sagte, dass er jetzt ins Bett ginge. Als sie sich am nächsten Tag sahen, war Maggie gleich klar, dass etwas nicht stimmte. Er war nicht einmal angeschlagen, und sie wusste, dass er sich schon öfter krankgestellt hatte. Also rief sie, während er fürs Mittagessen einkaufte, die Anrufliste seines Handys ab, und da waren sie auch schon: In der vergangenen Nacht hatte er zwischen drei und vier Uhr zwei Anrufe gemacht. Die Nummer war ihr unbekannt.
Maggie wurde schlecht. Sie wählte die Nummer auf ihrem Handy und hörte eine Ansage: »Hallo! Das ist die Mailbox von Stephanie. Hinterlass eine Nachricht!«
Als er mit ein paar Sandwiches zurückkam, fragte sie ihn nach den nächtlichen Telefonaten. Er ging wortlos ins Schlafzimmer, schlug die Tür hinter sich zu und schloss ab, und sie saß bewegungslos auf dem Sofa und wartete. Zwanzig Minuten später kam er ins Wohnzimmer zurück und schrie sie an. Was ihr einfalle ihn auszuspionieren. Er sei mit Freunden von der Uni unterwegs gewesen und habe keine Lust gehabt sie mitzuschleppen. Wenn es mit ihnen weitergehen solle, brauche er Raum und Zeit für sich, ohne sie.
»Wessen Nummer ist das?«, fragte sie zitternd.
»Ein Kommilitone. Den kennst du nicht.«
»Gabe, ich habe die Nummer angerufen.«
Er ließ den Kopf hängen: »Oh.«
»Und?«
»Es ist nicht, wie du denkst«, sagte er. Das verhieß nichts Gutes. »Das ist ein Dealer. Koks. Es war nicht für mich, ehrlich. Es war für diese Typen, die ein paar Tage in der Stadt sind.«
»Aber es war eine Frauenstimme«, sagte sie.
»Zur Tarnung. Die Mailbox antwortet, man hinterlässt eine Nachricht, dann rufen sie zurück«, sagte er. Dann fing er tatsächlich zu weinen an. Das hatte sie noch nie erlebt. »Du musst mir glauben. Ich will dich nicht wegen so einer dummen Sache verlieren.«
Komischerweise beruhigte sie seine Erklärung. Immerhin hatte er sie nicht betrogen. Immerhin liebte er sie noch. Erst Tage später dämmerte ihr, dass Gabe die Nummer eines Koksdealers hatte. Sie wusste nicht viel über Kokain, aber genug, dass ihr der Unterschied klar war zwischen einem, der ab und zu was auf einer Party zieht und dem Typen, der den Deal vermittelt.
Sie wollte sich nicht von ihm trennen. Sie wollte, dass er sich veränderte, obwohl sie in dem Wunsch das typische Verhalten eines Kindes von Alkoholikern erkannte und obwohl sie die Stimme ihrer Mutter hören konnte, die ihr klarzumachen versuchte, dass die einzige Person, die man wirklich ändern konnte, man selbst war.
Aber Maggie wollte ihn irgendwie wachrütteln und ihn zu der Einsicht bringen, dass sich einige Dinge an ihm ändern mussten. Sonst hatte sie keine andere Wahl, als ihn zu verlassen. Sie erinnerte sich an bestimmte Nächte ihrer Kindheit, in denen sie lange nach dem Abendessen, den Hausarbeiten und dem abendlichen Bad das Auto ihres Vaters durch die Einfahrt kommen hörten. Dann sagte ihre Mutter mit einem Grinsen auf dem Gesicht: »Kommt, wir verstecken uns vor Papa.«
Damals war das Maggies Lieblingsspiel gewesen, denn es war einer der seltenen, köstlichen Augenblicke, in denen ein Erwachsener die Welt der Kinder besuchte. Doch rückblickend fragte sie sich, worum es dabei gegangen war. War es eine Warnung ihrer Mutter an ihren Vater gewesen?: Wenn du das nächste Mal nach Schnaps stinkend ohne Erklärung nach Hause kommst, wann es dir passt, ist vielleicht einfach keiner mehr da.
Kathleen
D er Ingwertee war fertig und auf dem Küchentisch standen sechs große Eimer voll servierbereitem, gedünstetem Biomüll. Kathleen stellte sich vor, wie ihr Eintrag in der Alumnizeitschrift des Boston College lauten würde: Kathleen Kelleher lebt heute in Kalifornien. In Fachkreisen wird sie als Wurmmeisterköchin der Westküste gehandelt. Ihr beliebtestes Rezept besteht aus vierhundert Bananenschalen ohne Schimmelkruste, fünfzehn gerösteten Eierschalen und einer Handvoll verrotteter
Weitere Kostenlose Bücher