Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Apfelgehäuse.
Die frisch geschlüpften Würmer bekamen heute die erste Mahlzeit ihres Lebens. Sie hatte Maggie einmal erzählt, dass sie diesen Moment als sehr bedeutungsvoll erlebe. Man wollte die Tiere willkommen heißen. Aber Maggie ekelte das alles an, und Kathleen verstand sie. Ihr Leben war nicht gerade eines, mit dem man angeben konnte, und sie sah ja ein, dass es irgendwie auch zum Lachen war. Aber sie war da so hineingerutscht. Arlos Leidenschaft war ansteckend.
Die Einwohner einer anderen Scheune hatten mittlerweile den Containerinhalt verdaut. Am Nachmittag würde sie die Würmer mit süßen Rosenblüten in eine Ecke locken, damit Arlo das Ergebnis ihrer Arbeit in überdimensionale Mülltüten schaufeln konnte, die er dann auf seinen Pickup lud. Morgen würde er sie zu dem provisorischen Fließband am Rand des Grundstücks bringen, wo Jugendliche den Dünger für zehn Dollar die Stunde verpackten.
Als sie seinen Transporter in der Einfahrt hörte, goss Kathleen den Tee durch ein Blatt Küchenkrepp in zwei Boston-Red-Sox-Tassen und ging damit zur Hintertür.
Er kam mit einem Strauß in braunes Papier gewickelter Calla den Steinweg entlang und stieg die Stufen zum Haus hinauf.
»Guten Morgen, Liebling«, sagte er, öffnete die Fliegengittertür und trat ein. Die Hunde drängten hinter ihm ins Haus.
»Tauschen wir?«, fragte sie. Sie nahm ihm die Blumen ab und reichte ihm eine der Tassen. »Oh, die sind aber schön.«
»Nicht wahr? Die Mutter einer der Pfadfinderinnen hat einen Blumenladen in der Stadt. Seit sie unseren Wurmkotcocktail benutzt, halten ihre Blumen doppelt so lange, sagt sie. Das wollte ich mir ansehen. Kath, der Laden ist eine reine Farbexplosion. Das hättest du sehen müssen.«
Der frühmorgendliche Vortrag hatte ihn wieder richtig auf Hochtouren gebracht. Kathleen grinste.
Als er sah, womit sie sich beschäftigt hatte, lächelte auch er: »Du bist wundervoll. Das hast du alles heute Morgen geschafft?«
Ganz im Gegensatz zu ihrer Familie, die mit Komplimenten so sparsam war, als kosteten sie Bares, war Arlo mit liebevoller Anerkennung überaus großzügig. Arlo und sie hatten ähnliche Werte, das war unheimlich wichtig. Sie zogen Homöopathie der Schulmedizin vor und strebten ein chemiefreies Leben an. Das Wohl des Planeten lag ihnen am Herzen. Wo sie herkam, fand man das übertrieben, aber Arlo teilte ihren Standpunkt und war ihr in vielerlei Hinsicht sogar weit voraus.
Obwohl es eigentlich nicht ratsam war, waren sie nach ihrem ersten Treffen in einem Café direkt zu ihm nach Hause gefahren. Sie schauten die Nachrichten und hatten Sex auf Arlos Sofa, über dem ein gerahmtes Steal-Your-Face -Albumposter hing. Am nächsten Morgen fütterte er Kathleen mit Erdbeeren aus seinem Garten. Danach erzählte sie Maggie am Telefon, dass sie sich vielleicht verliebt hatte – trotz des Posters.
Bevor Kathleen Arlo kennenlernte war sie mit einigen Männern von den Anonymen ausgegangen und hatte mit ihnen geschlafen. Wie ironisch, denn sie konnte sich nicht daran erinnern, in über zehn Jahren Ehe mit Paul je nüchtern Sex gehabt zu haben. Ein paar der Jungs waren Neuzugänge bei den Anonymen gewesen und deshalb eigentlich Sperrgebiet, aber sie hatte sich nicht daran gehalten. Einer war auf richterliche Anordnung zu den Anonymen gekommen und hatte gerade für eine Kneipenprügelei, bei der er jemanden bewusstlos geschlagen hatte, drei Monate abgesessen. Ein anderer war erst zwanzig, damals also so alt wie Maggie. Zwischendurch sah Kathleen, dass das nicht in Ordnung war. Aber im Eifer des Gefechts fand sie, dass wer mit seiner Abhängigkeit kämpfte, jede Chance auf alkoholfreie Freuden ausschöpfen müsse. (Aus demselben Grund erlaubte sie sich zu essen, wonach auch immer ihr der Sinn stand: Zwei Zimtkrapfen von Dunkin’ Donuts als Zwischenmahlzeit und zum Abendessen eine Packung Kekse.)
Jetzt streichelte Arlo ihr über den Kopf: »Heute steht die Scheune an.«
»Ja.«
»Aber vielleicht halte ich vor der Party noch ein kleines Schläfchen. Ich bin ganz schön kaputt.«
»Na klar, leg dich hin, Schatz.«
Sie nahm ihm die Tasse wieder ab und stellte beide auf den Tisch.
»Aber spätestens in fünfzehn Minuten weckst du mich, versprochen?«, sagte er.
Sie versprach es und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er nach oben ging. Das vertraute Geräusch der unter seinen Füßen knarrenden Dielen gab ihr ein wohliges Gefühl.
Als sie sich an den Tisch gesetzt hatte, kam Mabel
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