Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
Vom Netzwerk:
Mitte fünfzig lag. Clare habe keine einzige zärtliche Geste zwischen Pat und Ann Marie beobachten können: Als sie von der Tanzfläche gingen, hielten sie sich nicht bei der Hand, und sie küssten sich nur, wenn jemand mit der Gabel ans Glas geschlagen hatte. Dann kokettierten sie allerdings wie zwei Vollidioten vor den Kameras.
    Kathleens und Pauls Hochzeit sei symptomatisch für ihre kranke Beziehung gewesen, meinte Clare. Nach der Trauung hatten sie in der Kirche Alice mit einem leidenschaftlichen Zungenkuss schockiert. Später tanzten sie wie die Verrückten und rieben sich aneinander, als wären sie allein. Um halb elf waren beide stockbesoffen. Auf der Männertoilette gab es eine Prügelei zwischen zwei von Pauls Freunden, und nach dem Versuch sie zu trennen, war Kathleens Kleid blutverschmiert. Später saß sie hemmungslos schluchzend am Kopf des Tisches. Als Clare zu ihr hinüberging, um sie zu fragen, was los sei, packte Kathleen sie am Handgelenk und sagte: »Für den Fall, dass du noch ’ne Wette abschließen willst: Ich bin schwanger.«
    Heute konnten sie darüber lachen, und das bewies in Kathleens Augen, dass fast alles eine komische Seite hatte, man brauchte nur genug zeitlichen Abstand und ausreichend Therapiestunden, um sie zu erkennen. Aber es ging ihr gegen den Strich, dass die Kellehers sich weigerten, eine nicht eheliche Beziehung ernst zu nehmen. Sie war mit Arlo fast so lange zusammen, wie sie mit Paul verheiratet gewesen war, aber für ihre Familie, Clare eingeschlossen, blieb Paul der Mann in ihrem Leben. Noch etwas, das Maggie lernen musste: Die wichtigste Wahl im Leben ist die des Mannes, mit dem man sich fortpflanzt, denn den wird man nicht mehr los. Auch nach zwanzig Jahren Funkstille nicht.
    Clare und Joe hatten sich in einem Bostoner Park von einem gemeinsamen Freund trauen lassen. Abgesehen von den Trauzeugen hatten sie nur Kathleen und Maggie eingeladen, und nach der Zeremonie waren alle zu einem festlichen Abendessen ins Casablanca gegangen, mit Ganache-Schokoladenkuchen zum Nachtisch. Die Flitterwochen verbrachten sie zuhause, denn am allermeisten wünschten sie sich, eine Woche daheim zu verbringen, Filme zu gucken, abends schön zu kochen und dann im Bett auf ausgebreiteten Ausgaben des New Yorker zu speisen. Seit Jahren verbrachten sie den Samstagmorgen auf diese Weise und tranken friedlich und zufrieden ihren Kaffee im Bett.
    Mit Clares Schwangerschaft im sechsten Ehejahr, kurz nach dem Tod von Joes Vater, hatte keiner mehr gerechnet. Sie nannten das Kind Ryan, nach seinem Großvater väterlicherseits. Ryan war schon als kleiner Junge ein Brüller. Er konnte singen und tanzen und Clare meinte stolz, dass er stepptanzte, bevor er krabbeln konnte.
    Joe hatte sich einen Sohn wie Chris und Daniel Junior gewünscht, und das Getanze und Gesinge entsprach nicht seiner Vorstellung eines männlichen Nachkommen, aber er war kein Spielverderber. Im Laden legte er sogar den Soundtrack von Finian’s Rainbow und Brigadoon auf: »Wenn man sich ein bisschen Watte in die Ohren stopft und sich auf etwas anderes konzentriert«, meinte er, »klingt es doch fast wie die Chieftains.«
    Kathleen fand ihren Schwager wunderbar, ganz besonders, weil er Alice nicht leiden konnte. Jahrelang hatte er, wie sie alle, die Zähne zusammengebissen, wenn Alice einen bissigen Kommentar über Clare abließ. Aber eines Abends war er nicht zum Familienessen erschienen. Von Clare wusste Kathleen, dass er sich am Morgen fürchterlich über Alice aufgeregt hatte und ihre Schwester befürchtet hatte, er könne beim Abendessen explodieren. Seitdem sah er Alice nur noch an hohen Festtagen, wenn es keine akzeptable Ausrede gab.
    Clare war sehr lieb und neigte dazu, alles stillschweigend hinzunehmen. Aber unter Joes Einfluss sagte sie mittlerweile meistens unter irgendeinem Vorwand ab, wenn Alice sie zu sich einlud. Das geschah ihrer Mutter recht, fand Kathleen. Viele erlebten Verabredungen mit Alice als eine Art Freiheitsberaubung, aber kaum jemand hatte den Mut, wirklich einmal »Nein, Danke« zu sagen.
    Kathleen bat ihre Schwester, Ryan auszurichten, dass sie seine Idee für das Musical super fand.
    »Er ist gerade auf dem Weg zum Geschäft«, sagte Clare. »Schade, dass er nicht hier ist, um kurz mit dir zu sprechen. Er vermisst dich!«
    Kathleen wusste, was das bedeutete: In Wirklichkeit vermisste Clare sie. Und auch Kathleen fehlte ihre Schwester.
    »Ich kann nicht fassen, dass Ryan schon Auto fährt«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher