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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Stiche, manche davon im Gewebe unter der Haut. Den Verband musste sie noch Monate später tragen und versteckte ihn unter einem dunkelblauen Tuch, das sie sich wie Norma Desmond um den Kopf wickelte. Jeden Morgen und jeden Abend rieb sie die Narbe mit Vitamin E ein. Nach einem Jahr war sie fast nicht mehr zu sehen.
    Den Nachbarn und Verwandten erzählten sie, dass Alice Patrick so schnell wie möglich ins Krankenhaus hatte bringen wollen, deshalb zu schnell gefahren sei und im Schneesturm die Kontrolle über den Wagen verloren habe.
    Aber am Abend nach dem Unfall schlüpfte Kathleen spätabends aus dem Bett, folgte den Stimmen ihrer streitenden Eltern und lauschte an der Schlafzimmertür.
    »Alice! Die Kinder hätten sterben können.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Du warst betrunken. Wir hatten eine Abmachung: Kein Alkohol, wenn ich nicht da bin.«
    »Aber du bist ja nie da!«, schrie sie erbittert. »Ich bin ja den ganzen Tag mit ihnen alleine.«
    »Ich gehe nicht zum Vergnügen jeden Tag ins Büro. Es ist mein Job«, sagte er. »Ich tue es für die Familie. Du bist die Mutter, das ist dein Job. Ich kann nicht immer da sein, um auf dich aufzupassen.«
    Sie schluchzte.
    »Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich das nicht kann«, sagte sie.
    »So ein Unsinn. Du bist eine wundervolle Mutter«, antwortete er sanft.
    »Das ist ja nicht zu übersehen.«
    »Hör mal zu, Alice. Ich liebe dich. Und ich will dir helfen. Aber die Trinkerei muss jetzt ein Ende haben. Ich meine es ernst. Du gehst auf Entzug, und zwar sofort. Wie du das machst, ist mir egal, aber du wirst es tun. Und wenn nicht, nehme ich die Kinder und gehe. Hast du mich verstanden?«
    Die Antwort ihrer Mutter hörte Kathleen nicht mehr, aber als sie am nächsten Morgen in die Küche herunterkam, sah sie, wie ihr Vater auch den letzten Tropfen Alkohol in die Spüle kippte. Von da an sah sie ihre Mutter nie wieder trinken. Bis zur Beerdigung ihres Vaters.

Ann Marie
    G egen sieben kam Pat in Khakihose und Polohemd in die Küche. Sein Blick war auf sein Handy gerichtet, auf dem er herumtippte.
    »Guten Morgen«, sagte er und gab ihr, ohne aufzublicken, einen Kuss auf die Wange. »Du bist bestimmt schon seit dem Morgengrauen mit den Vorbereitungen für den Puppenhaus-Event beschäftigt, stimmt’s?«
    »Genau. Ich konnte nicht mehr schlafen. Es gibt so viel zu tun.«
    »Du könntest dir eigentlich ruhig den Tag freinehmen«, sagte er.
    »Das Lammgericht von Freitag taut im Kühlschrank auf«, sagte Ann Marie. »Es gibt auch noch Pfefferminzsoße. Und ich mach dir noch Kartoffeln, bevor ich gehe. Für alle Fälle.«
    Er runzelte die Stirn: »Für den Fall, dass du mit einem Produzenten für Barbie Küchenfliesen durchbrennst?«
    »Für den Fall, dass du Hunger kriegst.«
    »Ich kann schon für mich sorgen«, sagte er, dabei wussten sie beide, dass er seit Jahren keinen Fuß in einen Supermarkt gesetzt und noch nie gekocht hatte.
    »Ich mache es gern. Die Anleitung zum Aufwärmen des Essens hängt am Kühlschrank, unter dem Keltenmagneten.«
    »Danke«, sagte er.
    »Ich habe mit deiner Mutter telefoniert«, sagte sie. »Sie hat mich gebeten, dich an die Regenrinne zu erinnern.«
    »Ich kümmere mich drum«, gab er zurück. »Ich habe Mort schon im Laden angerufen und mir eine Empfehlung geben lassen. Hatte ich ihr das nicht schon gesagt? Und das Geländer von der Veranda am alten Haus wackelt. Hat sie das erwähnt?«
    »Das repariert anscheinend der Priester.«
    »Der Priester?«
    »Du weißt schon, Pfarrer Donnelly. Ich glaube, er hat Feuer gefangen.«
    »Wie jetzt: Der Priester und meine Mutter?«
    »Nein, nein, alles rein platonisch«, sagte Ann Marie und lachte. »Er ist ein netter junger Mann und hat sie gern, mehr nicht.«
    »Wie geht es ihr sonst so?«, fragte Pat.
    »Sie ist ganz schön mürrisch. Sie brauche keine Hilfe und ich solle mir nicht die Mühe machen, nach Maggies Abreise Mitte Juni extra nach Maine zu fahren. Ich hatte nicht die Kraft, mit ihr darüber zu diskutieren. Aber ich fahre natürlich trotzdem.«
    »Du bist ein Engel«, sagte er.
    »Du denkst an den Arzttermin morgen?«
    »Ja, Frau General«, sagte Pat.
    Er hatte so gute Laune, dass sie am liebsten verschwiegen hätte, was sie jetzt sagen musste.
    In sanftem Ton erinnerte sie ihn: »Schatz, der Scheck an Daniel Junior muss vor meiner Abreise noch raus.«
    Normalerweise schickten sie ihm pünktlich an jedem letzten des Monats einen Scheck. Aber diesmal hatte sie die Planänderung für

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