Sommer in Maine: Roman (German Edition)
belästigt haben.«
Ann Marie stellte sich eine Schar schnatternder, fauler Gören in Tweed vor, die keine Lust hatten, Kaffee zu kochen und ans Telefon zu gehen und sich auf die Frauenrechte beriefen.
Sie wollte die Details gar nicht hören, aber Pat fuhr schon fort: »Und sein Computer war anscheinend voll Hardcore-Pornografie. Irgendsoein Sadomaso-Kram.«
Ann Marie war entsetzt. »Und diese Sekretärinnen behaupten natürlich, dass er das auf den Computer geladen hat. Aber es kann ja auch jemand anderes gewesen sein.«
»Aber sie haben die Rechnungen gesehen.«
»Was?«
»Er hat es über die Firmenkreditkarte laufen lassen. Zweitausend Dollar.«
»Oh Gott.«
Ob es das erste Mal war? Vielleicht hatte er das auch schon in den anderen Büros gemacht. Und die arme Regina war so stolz auf den Ring an ihrem Finger. Ann Marie erschauderte bei der Vorstellung, wie ihr Sohn – ihr amerikanischer Musterjunge! –, seine Verlobte fragte, ob er sie ans Bett fesseln könne. Und dann dachte sie auch noch an Fiona, und die beiden Tatsachen verschmolzen zu einem einzigen Horrorszenario: Ihr Sohn war pervers und ihre Tochter eine Lesbe.
Es kann ja keiner was dafür. Das war heutzutage die Standardreaktion auf schlimme Ereignisse. Aber es gab immer einen Verantwortlichen. Was hatte sie nur falsch gemacht?
»Er hat mich lächerlich gemacht«, sagte Pat. »Jetzt wird sich der ganze Club über mich ausschütten.«
In diesem Augenblick stieg ihr das Östrogen oder der Mutterinstinkt oder Gott weiß was zu Kopf, und sie wollte nur noch eines: Mit allen Mitteln diesen Jungen verteidigen. Ihren einzigen Sohn.
»Ach, komm schon«, sagte sie. »Ron Allan hat noch ganz andere Leichen im Keller als ein paar schmutzige Videos.«
Sie rief Daniel Junior an und bat ihn, vorbeizukommen. Er saß weinend auf dem Wohnzimmersofa. Es täte ihm leid, sie blamiert zu haben. Er habe erst nicht bemerkt, dass er die Firmenkreditkarte benutzt hatte, und dann war es schon zu spät. (Das schien ihr plausibel, obwohl sie eigentlich gehofft hatte, dass er die ganze Geschichte abstreiten würde.) In dieser Nacht schlief ihr großer, starker, gutaussehender Sohn, den alle Daniel Junior nannten und als den kleinen Daniel betrachteten, obwohl er Daniel Senior am Ende überragt hatte, in seinem alten Kinderzimmer.
Als sie an diesem Abend selbst im Bett lag, strich Ann Marie mit den Fingern über die Holzschnitzereien am Kopfende. Sie hatten das Bett in einem Laden in Killarney entdeckt und es sich aus Irland liefern lassen. Weil Daniel da war, lag sie in dieser Nacht neben Pat, der schon schnarchte. Wie konnte ihr Mann an so einem Abend überhaupt schlafen?
Schließlich stand sie wieder auf, ging in die Werkstatt hinunter, saß lange vor ihrem Puppenhaus und überlegte, ob der Schrank im Wohnzimmer nicht doch besser in den Eingangsbereich passte. Sie stellte ihn um und entfernte ihre Fingerabdrücke vorsichtig mit einem Taschentuch. Als kleines Mädchen hatte Fiona im Gegensatz zu Patty nie gern Kleider getragen. Hätte ihr das ein Zeichen sein sollen? Auf der High School hatte es diesen Jungen gegeben, David Martin. Fiona hatte darauf bestanden, dass sie nur Freunde waren und Krach geschlagen, als Ann Marie ihnen verbieten wollte, die Zimmertür hinter sich zu schließen. Als Ann Marie ihr dann im letzten Schuljahr nicht erlauben wollte, mit David allein zelten zu gehen, hatte Fiona gesagt: »Mann Mama, hast du immer noch nicht begriffen, dass er schwul ist?« Es war ihr niemals in den Sinn gekommen, dass auch ihre Tochter homosexuell sein könnte.
Und ihr Sohn? Ann Marie erinnerte sich noch, wie sie während seiner Schulzeit beim Wechseln der Bettwäsche eine Nummer von Penthouse gefunden hatte. Ihr waren Tränen in die Augen gestiegen, als sie die Zeitschrift durchblätterte. All diese jungen Mädchen, die mit leerem Blick und offenen Mündern die Beine breit machten. Dann war Daniel plötzlich ins Zimmer gekommen, und sie hatte die Zeitschrift schnell wieder unter das Kopfkissen geschoben, als sei er der Vater und sie die beschämte Jugendliche. Mit rotem Kopf hatte sie gefragt, wie es in der Schule gewesen sei. War das eine verpasste Gelegenheit gewesen? Hätte sie damals noch etwas ändern können? Sie hätte mit Pat darüber sprechen sollen, aber das war ihr viel zu peinlich. Außerdem hatte sie gedacht, dass es wahrscheinlich ganz normal sei, dass ein junger Mann ein bisschen herumexperimentierte.
Wenigstens hatte sie noch Patty. Und
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