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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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über Fiona Bescheid wusste. Die Schwestern waren sich nicht besonders nah. Patty hatte sich mit ihrer Cousine Maggie immer besser verstanden. Einmal hatte Ann Marie ihr den Mund mit Seife ausgewaschen, nachdem sie das Kind dabei erwischt hatte, wie sie ihre Schwester quälte: »Du bist ja gar nicht meine Schwester. Maggie ist meine richtige Schwester.« Fiona flossen schon die Tränen, und Patty hörte trotzdem nicht auf.
    Vor kurzem hatte Patty erwähnt, dass es sie manchmal erschreckte, wie grausam ihre Kinder sein konnten.
    »Manchmal benehmen sie sich wie Tiere«, hatte sie gesagt, »und ich will mich am liebsten im Bad einschließen. Wie hast du das nur ausgehalten?«
    Ann Marie stand vor der Autobahnauffahrt in einem kleinen Stau. Sie sah auf die Uhr, obwohl sie genau wusste, dass sie gut in der Zeit lag.
    Seitdem Patty und Fiona ausgezogen waren, schienen sie sich öfter auszutauschen. So war es auch bei Ann Marie und ihren Schwestern gewesen. Ann Marie hatte ihre Töchter angeregt, einander vom College zu schreiben, indem sie jeder ein hübsches Briefpapierset mit jeder Menge Briefmarken schickte. Wenn sie im Sommer nach Hause kamen, redeten sie viel miteinander und gingen auch mal zu zweit ins Restaurant. Bis Fiona nach Namibia gegangen war. War sie vor ihnen geflohen? War das der Grund ihrer Reise? Ann Marie kannte niemanden mit einem homosexuellen Kind. Wen sollte sie also fragen?
    Seit dem Abendessen, an dem Fiona es ihnen erzählt hatte, hatte sie mit ihrer Tochter nicht mehr darüber gesprochen. In ihren Briefen berichtete sie Fiona vom allerneuesten Familienklatsch und gab Einzelheiten zum Wetter und der Entwicklung des Puppenhauses. Und insgeheim flehte sie, auch Fiona möge es nicht erwähnen. Ihre Tochter schrieb ihrerseits über die Arbeit mit den Kindern und beschrieb die Sonnenuntergänge über dem Dorf. Ann Marie war jedes Mal erleichtert. Sie hatte lange auf Fionas Rückkehr gewartet, aber jetzt wollte sie eigentlich, dass alles blieb, wie es war und Fiona in weiter Ferne einfach die sozial engagierte, großzügige Tochter bleiben konnte, anstatt zum Sonntagsessen mit ihrer Freundin und einem adoptierten afrikanischen Baby aufzutauchen, dass sie unter dem Getuschel und den Blicken der Nachbarn im Tragetuch quer durch Newton schleppte.
    Pat meinte, es fühle sich beinahe so an, als sei Fiona gestorben: Er trauerte darum, dass sie nun niemals Hochzeit feiern würde, niemals den charmanten Weltverbesserer nach Hause bringen würde, den sie sich für sie erhofft hatten, niemals Kinder haben würde. Am schmerzhaftesten aber war für Ann Marie, dass ihre Tochter nun nicht mehr als Katholikin gelten konnte. Wenn es den Himmel gab, würden sie Fiona dort nicht wiedersehen.
    Irgendwie hatte Ann Marie es geschafft, drei Kinder zu produzieren, die sich, jedes auf seine Weise, vom Katholizismus abgewandt hatten. Sie hatte ihnen Katechismusunterricht erteilt und sie zur Sonntagsschule gebracht. Pat war Kommunionhelfer, und sie hatte Daniel Junior zum Ministrantendienst gezwungen und die Mädchen zum Kirchenchor geschickt. Sie hatte getan, was sie konnte, und was war dabei herausgekommen?
    Dass Patty einen Juden geheiratet hatte, war an sich in Ordnung. Die Zeiten hatten sich geändert, das durfte man nicht vergessen. Eine Weile hatte sie noch gehofft, Josh würde konvertieren, aber irgendwann hatte sie diese Hoffnung aufgegeben. Dass sie aber die Enkel nicht hatten taufen lassen, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.
    Ann Marie hatte ihre jüngere Tochter immer für eine echte Katholikin gehalten. Als Kind hatte Fiona oft schlimme Halsentzündungen gehabt. Nachdem sie es auch mit verschiedenen Antibiotika nicht in den Griff bekamen, versuchten sie es zuletzt mit dem Segen des Blasius, der bei Halsleiden angerufen wird. Die Entzündung ging zurück, und von da an hatte Fiona eine gewisse Faszination für die Heiligen der katholischen Kirche. Sie war immer so ein gutes Mädchen gewesen und hatte sich für die Armen aufgeopfert. Aber irgendwo musste Ann Marie etwas falsch gemacht haben. Wie war es nur dazu gekommen?
    Es graute ihr bei der Vorstellung, ihre Mutter oder Alice könnten davon erfahren. Und Kathleen erst: Für die wäre das doch ein gefundenes Fressen.
    Frauen wie Kathleen, die ständig darüber klagten, was sie nicht alles für ihre Kinder aufgegeben hätten, gingen Ann Marie auf die Nerven. Sie hatte den Schrei nach »Mehr Zeit für mich« immer als puren Egoismus betrachtet. Aber jetzt fragte

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