Sommer in Maine: Roman (German Edition)
andere Frau lieben können.
Maggie nahm die Topflappen vom Haken und stellte den Topf zum Abkühlen in die Spüle. Dann öffnete sie die Fenster und ließ den Regen rein.
Neue Batterien für den Rauchmelder , dachte sie, Hirntransplantat für mich .
Sie holte die New York Times vom Fußabtreter vor der Wohnung und nahm sie aus der blauen Plastikhülle. Nachdem sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, warf sie einen Blick auf die Schlagzeilen: Die CIA hatte einen Unschuldigen in Marokko foltern lassen; Am Abend war in Brownsville ein dreizehnjähriges Mädchen durch einen Querschläger aus der Waffe eines Bandenmitglieds getötet worden, als sie auf der Treppe vor dem Haus Kuchen essend den Studienabschluss ihrer Mutter feierte.
Wie konnte Maggie an ihrem Leben verzweifeln, wenn andere von ihrer eigenen Regierung der Folter ausgesetzt wurden und wenige Kilometer von ihrer Wohnung entfernt ein unschuldig Kuchen essendes, kleines Mädchen im Sonntagskleid erschossen wurde? Trotzdem bemitleidete sie sich. Sie war soeben knapp ( naja, so ungefähr ) dem Tod entgangen. Gabe fehlte ihr. Normalerweise würde sie jetzt in seinem Bett aufwachen und sich langsam zum Markt auf der East Eighth Street auf den Weg machen, um Reiseproviant zu besorgen. Fröhlich durch den Regen tapsend und gedanklich schon im Urlaub, könnten ihr dann weder das Wetter noch Bandenkriege noch Sorgen um die Frisur etwas anhaben. Und auf den Regenschirm sei gepfiffen.
Es war nicht richtig, die eigenen Probleme als die schlimmsten überhaupt zu betrachten. Aber diese Erkenntnis hielt sie nicht davon ab, es trotzdem so zu empfinden. Sie war schwanger und allein und wusste nicht, ob sie damit klarkommen würde.
Das Handy klingelte. Sie streckte sich danach aus, aber es war nur ihre Freundin Allegra. Maggie ließ es weiter klingeln.
Nach ihrem letzten großen Streit mit Gabe hatte Allegra ihr geraten, ihn zu verlassen.
»Jetzt mal ehrlich«, hatte Allegra gesagt, »das mit Gabe fühlt sich doch nicht ganz richtig an, oder? Ich hab mit Mike dieselbe Scheiße durchgemacht. Aber jetzt mit Jeff – glaub mir: Wenn’s passt, dann passt’s einfach.«
Maggie konnte diesen Spruch nicht ausstehen. Als wäre zwischenmenschliche Perfektion so eindeutig erkennbar, wie die richtige Mülltütengröße für den Eimer: Herzlichen Glückwunsch, sie haben die passende Tüte gefunden. Ihre Mission ist erfüllt. Von nun an leben Sie glücklich bis an Ihr Lebensende. Sie hatte die Befürchtung, dass nur Leute, die nicht so viel im Kopf hatten, diesen Grad an Gewissheit erreichen konnten.
Allegra war also die letzte, mit der sie jetzt reden wollte.
Es fühlte sich an, als würde ihr Magen sich ausdehnen und sich die Speiseröhre hinaufschieben. Sie ging ins Bad und übergab sich.
Bis zehn hatte Maggie geduscht, online ihre Rechnungen fürs Handy und fürs Kabelfernsehen bezahlt und die Küchenschränke geschrubbt, die auch vorher schon blitzblank gewesen waren. Aber egal: Es ging sowieso nur darum, sich zu beschäftigen und davon abzuhalten, Gabe anzurufen. Bis er sich beruhigte konnte sie seine Aufmerksamkeit nur noch durch eine einzige Neuigkeit erregen. Aber sie musste sich seiner, bevor sie es ihm sagte, absolut sicher sein, sonst hatten sie keine Chance.
Sie checkte ihre E-Mails. Er müsste jetzt auf dem Weg zu dem Fototermin sein. Aber wahrscheinlich hatte er den Auftrag mal wieder geschmissen. Von ihm war keine Nachricht gekommen, nur eine kurze Mitteilung von ihrem Bruder. ( Sag mal, ist nicht bald Muttertag? Hast du was geplant? … Zum Muttertag vor zwei Wochen hatte sie Kathleen einen schönen Blumenstrauß geschickt und die Karte für Chris mit unterschrieben, und das sagte sie ihm jetzt in einer Antwortmail.) Dann war da noch eine Nachricht von ihrer Chefin Mindy. Im Betreff: AUFGABENVERTEILUNG FÜR DIE KOMMENDE WOCHE.
Maggie meldete sich ab. Hätte sie die Wohnung in Vorbereitung der Reise nach Maine nur nicht so gründlich geputzt; wären doch wenigstens ein paar dreckige Teller übriggeblieben oder ein Badezimmerboden, der noch nicht blitzblank war. Sauberkeit war ihr wichtig. Ihre Therapeutin hatte sie einmal gefragt, ob das vielleicht eine Reaktion auf den Lebensstil ihrer Mutter sei. Dazu hatte Maggie nur gelacht: Gab es irgendein Verhalten, das nicht eine Reaktion auf die Mutter war?
Selbst als Kathleen nach der Scheidung trocken war, schaffte sie es nicht, wie andere Mütter die Teppiche regelmäßig abzusaugen und den Müll
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