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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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rechtzeitig rauszustellen. Das dreckige Geschirr türmte sich in der Spüle und auf den Arbeitsflächen. Auf den Bücherregalen, Tischen und Fensterbrettern lag eine dicke Staubschicht und überall flogen Hundehaarknäuel herum. Neben der Hintertür stapelten sich Zeitschriften und Kartons, mit denen Kathleen noch irgendetwas vorhatte. Sie konnte es sich einfach nicht abgewöhnen, wichtige Informationen auf irgendeinen Fetzen Papier zu kritzeln, den sie dann schon wenige Stunden später nicht mehr wiederfand. Auch die kleine Tafel für die Kühlschranktür, die Maggie ihr geschenkt hatte, half da nichts.
    Der Hof in Kalifornien übertraf alles, was Maggie aus ihrer Kindheit kannte. In der Küche vergnügten sich die Obstfliegen, bis sie in einer Teetasse oder im Müsli verendeten. Kathleen wechselte die Bettwäsche im Gästezimmer nur unregelmäßig: Wenn Maggie nach einem Dreivierteljahr mal wieder zu Besuch kam, fand sie für gewöhnlich dasselbe Bettzeug vor. Sie besuchte ihre Mutter nicht gerne, besonders nicht mit Gabe, der keinen Hehl daraus machte, was er von dem Hof hielt. Sie fragte sich, wie Arlo das sah: Hatte er, bevor er Kathleen kennenlernte, auch in seinem eigenen Dreck gelebt, sodass ihm an der jetzigen Situation nichts ungewöhnlich erschien?
    Um Punkt zehn Uhr, Praxisöffnung, wählte Maggie die Nummer ihrer Therapeutin. Dr. Rosen hatte Maggie oft gesagt, dass sie bei Bedarf gerne auch außerhalb ihrer Termine anrufen könne, aber Maggie hatte das Angebot bisher nicht angenommen. Sie hatte immer gedacht, das gelte eher für Selbstmordgefährdete und Manisch-Depressive, nicht für Frauen wie sie, die unter einer Mischung aus Liebeskummer und der Melancholie Überprivilegierter litten.
    Aber jetzt sagte sie: »Hallo, Maggie Doyle hier. Hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit für mich?«
    Sie erzählte Dr. Rosen von dem Streit mit Gabe, aber die Schwangerschaft erwähnte sie nicht.
    »Eigentlich wollten wir heute nach Maine fahren, und ich bin jetzt ein bisschen ratlos.«
    »Und wenn Sie alleine fahren?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Maggie. »Ich habe Urlaub genommen und müsste mich wirklich mal aufs Schreiben konzentrieren. Vielleicht würde es mir gut tun. Aber dann denke ich an den schlechten Handyempfang, und dass ich da oben außer meiner Großmutter niemanden habe.«
    Das Sommerhaus lag abgelegen, was gemütlich, aber auch erdrückend sein konnte, je nachdem. Im Lauf der Jahre hatte Maggie beides erlebt. Sie wünschte, ihre Mutter könnte mitkommen. In diesem Augenblick wurde sie sich plötzlich wieder dessen bewusst, dass ihre Mutter nicht mehr in Boston war. Sie war ans andere Ende des Kontinents gezogen, und obwohl Maggie sie kaum seltener sah, als vor dem Umzug, fühlte sie sich allein. Selbst wenn sie es wollte, konnte sie sich nicht einfach in den Zug setzen und sich ein paar Stunden später bei ihrer Mutter ausheulen.
    »Vielleicht ist es gut, wenn Sie alleine fahren«, fuhr Rosen fort. »Das stärkt das Selbstbewusstsein! Sie hätten Zeit für Ihr Buch, würden mal von allem wegkommen.«
    »Also wir wollten ja mit Gabes Auto fahren und ich hab gar keinen Führer-«
    »Meine Güte, dann nehmen Sie eben den Bus«, sagte Dr. Rosen. »Ziehen Sie es wenigstens in Betracht. Es scheint mir ratsam, dass Sie etwas Abstand zu Ihrem Partner gewinnen.«
    Maggie verließ der Mut. Sie überlegte, wie sie der Therapeutin das andere Problem verständlich machen könnte, ohne es aussprechen zu müssen.
    »Sie können jederzeit anrufen, sollten Sie mich nochmal brauchen«, sagte Dr. Rosen. Das hieß wohl, dass das Gespräch beendet war. Die Frau, von der Maggie so vieles über persönliche Grenzen gelernt hatte, verteidigte ihr eigenen penibel: Sie wusste alles über Maggie, aber Maggie konnte ihr nicht die einfachste persönliche Frage stellen. Auf Maggies »Wohin geht’s denn in den Urlaub?« hatte sie mit einem verkrampften Lächeln und den Worten geantwortet: »Keine Sorge, wir machen in zwei Wochen genau da weiter, wo wir aufgehört haben«. Als könnte Maggie vorhaben, ihr in die Berge von Berkshire zu folgen und vor ihren Füßen einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Dabei hatte sie bloß nett sein wollen.
    Maggie ärgerte sich über die Therapeutin, dann ärgerte sie sich über sich selbst, weil es ihr offenbar nicht möglich war, mit irgendjemandem eine offene und ehrliche Beziehung zustande zu bringen. Nicht einmal mit einer professionellen Psychotherapeutin, die dafür bezahlt

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