Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
den George auf Anhieb wiedererkannte.
Und auch wenn die vergangene Zeit Jane und ihn zu Fremden gemacht hatte, teilten sie einen kurzen Moment der Erinnerung miteinander. Er konnte das Erkennen in ihren Augen sehen.
Er spürte auch den Funken von etwas Neuem, etwas, das in ihrer Kindheit nicht da gewesen war. Keiner von ihnen hatte quer über die Menge in dem Laden hinweg etwas zu dem anderen gesagt, und doch hätte George schwören können, dass die Luft um sie herum knisterte. Alle seine Instinkte drängten ihn, etwas zu unternehmen. Er sollte einfach zu ihr hinübergehen, sich neu mit ihr bekannt machen … und sie um eine Verabredung bitten.
Er spürte, dass sie das gut fände. Trotz der langen Abwesenheit sah er die Einladung in ihren Augen, die Offenheit ihres Lächelns.
Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt. Sie war ganz offensichtlich mit ihrer Bande vom Camp Kioga beschäftigt, er hatte Erledigungen zu tätigen, und die Bäckerei war vollgestopft mit Leuten.
Das Leben bot einem nicht viele Augenblicke wie diesen hier – Momente, in denen ein einziges Wort oder eine einzige Geste alles verändern könnte. Die Gelegenheit verstreichen zu lassen hieße, sich etwas ganz Besonderes entgehen zu lassen.
Er machte einen zögerlichen Schritt auf sie zu. Ein Gelenkin seiner Beinschiene machte ein winziges, knackendes Geräusch, das niemand außer ihm bemerkte. Doch es reichte aus, um den Samen des Zweifels zu säen. Was zum Teufel sollte er zu ihr sagen? Hallo, was hast du mit dem Rest deines Lebens vor?, oder Entschuldige, aber ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben! Alles, was er sagen könnte, würde mit Sicherheit lächerlich klingen. Außerdem, was wollte ein so lebendiges Mädchen wie sie mit einem Krüppel wie George?
„Heiliges Kanonenrohr!“, sagte eine Stimme hinter George. „Halt mir meinen Platz in der Reihe frei. Da ist jemand, mit dem ich sprechen muss.“
Mit langen, forschen Schritten bahnte Charles sich einen Weg durch die Menge zu Jane. Sie sah einen Moment lang überrascht aus. Und vielleicht, nur vielleicht, schickte sie George einen bittenden Blick, als wenn sie wünschte, er wäre derjenige, der sie zuerst anspräche, nicht Charles. Das konnte er sich natürlich auch nur einbilden.
In Wahrheit würde er nie erfahren, was sie in diesen ersten Augenblicken gedacht hatte. Das Einzige, was er sicher wusste, war, dass sich in diesem Augenblick in der überfüllten Bäckerei drei Leben für immer veränderten.
„Wer hätte das gedacht? Ich bin schon halb verliebt in Jane Gordon“, erklärte Charles, als sie sich an dem Abend vor dem Essen in der Fireside Lounge auf einen Drink trafen. Er schaute George und seine Eltern mit aufgeregt funkelnden Augen an. „Glaubt ihr an Liebe auf den ersten Blick? Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass mir genau das passiert ist.“
„Quatsch!“ George lag das Bedauern wie ein kalter Stein auf dem Herzen. Wieder einmal war Charles ihm zuvorgekommen. Dieses Mal war der Einsatz aber wesentlich höher als ein einfacher Autoschlüssel. Den ganzen Nachmittag über hatte George die Szene in Gedanken wieder und wieder durchgespielt. Wenn er nicht an sich gezweifelt hätte, wenn er dieBelastung der Schiene überhört und eine Millisekunde schneller reagiert hätte, dann würde er jetzt vor Aufregung glühen und seinen Eltern erzählen, dass er ein ganz besonderes Mädchen kennengelernt hatte.
„Und sich vorzustellen, dass sie die ganze Zeit über in New Haven gewohnt hat, ohne dass wir davon wussten“, fuhr Charles fort. George nahm einen kleinen, kontrollierten Schluck von seinem Highball.
„Wir kennen keine Gordons, oder?“, fragte ihre Mutter. „Doch der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Wohnen sie auch hier im Resort?“
Charles lachte. Sein volles blondes Haar glänzte im Schein der Kerzen auf dem Tisch. „Das ist ja das Verrückte!“ Er grinste ausgelassen in die Runde. „Sie wohnen nicht im Resort. Ihnen gehört das Resort.“
Mit der für ihn typischen unbeschwerten Missachtung aller Konventionen hatte Charles Jane Gordon gleich in der Bäckerei angesprochen und erfahren, dass sie die meiste Zeit des Jahres bei ihrer Mutter in New Haven wohnte. Obwohl zehn Jahre vergangen waren, seit Mrs Gordon ihren Sohn im Krieg verloren hatte, weigerte sie sich immer noch, in Avalon zu leben. Doch Mr Gordon bestand darauf, hierzubleiben und das Familiengeschäft weiterzuführen.
Wie seltsam, dachte George, dass sie die meiste Zeit
Weitere Kostenlose Bücher