Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
da das Tanzen ins Spiel? Ist das ein Teil der Behandlung meines Großvaters, in einem Restaurant zu tanzen? Worum zum Teufel ging es da, Schwester Turner?“
„Da ging es darum, mich um meinen Patienten zu kümmern. Er sagte, er habe schon immer mal tanzen wollen.“
Seine Schultern sackten unmerklich nach unten. „Ich schätze, Sie haben schon bemerkt, dass mein Großvater mir alles bedeutet. Er ist der beste Mensch, den ich kenne. Und was da gerade mit ihm passiert …“ Seine Stimme brach. „Wir müssen das aufhalten, Claire. Bitte.“
Es war das erste Mal, dass er sie mit ihrem Vornamen ansprach,und es signalisierte eine Veränderung. Sie wollte für ihn weinen – und würde es vielleicht später, wenn sie alleine war, auch tun. „Es ist nicht aufzuhalten“, flüsterte sie. „Wenn Sie ihm wirklich helfen wollen, schenken Sie Ihrem Großvater so viele schöne Tage, wie Sie nur können – und für so lange wie möglich.“
Ross schüttelte den Kopf. „Es ist, als würde er sich selber aufgeben. Und was ich noch schlimmer finde – er ist hierhergekommen, um einen Kerl zu treffen, der sich seit fünfundfünfzig Jahren nicht das kleinste bisschen für ihn interessiert hat. Es wird ihm das Herz brechen, und das hat er auch nicht verdient.“
Durch seine Schwermut sah sie die Tränen, die in seinen Augen glitzerten. „Bitte, hören Sie mir zu! Sie müssen versuchen, es zu verstehen! Das hier ist sein Leben, und er kann ganz allein darüber entscheiden. Sie können ihn dabei entweder unterstützen und ihm alles Gute wünschen – oder Sie können ihm diese Zeit neiden und die Entscheidungen kritisieren, die er trifft.“
„Also wenn er gerne mit Zementschuhen an den Füßen in den See springen will, soll ich ihn lassen, weil es sein Wunsch ist?“
„Jetzt werden Sie albern.“
„Weil ich will, dass mein Großvater sich einer Behandlung unterzieht, damit er wieder gesund wird? Kommen Sie, Claire! Helfen Sie mir!“
„Ich soll Ihnen helfen?“
„Ich muss ihn davon überzeugen, in die Stadt zurückzukehren. Ich bin sicher, es gibt noch weitere Ärzte, die wir konsultieren, andere Therapien, die wir ausprobieren können.“
Er tat Claire so unendlich leid. Sie wünschte, die Dinge stünden anders, und sie wünschte, sie könnte ihm recht geben. Stattdessen sagte sie: „Glauben Sie nicht, dass er diesen Weg gehen würde, wenn auch nur die geringste Hoffnung auf Erfolg bestünde? Doch die gibt es nicht. Ich bin nicht gerne soschonungslos, aber es gibt tatsächlich keine Heilung.“
Er zuckte zusammen. „Sehen Sie, ich will doch nur, dass er allen Möglichkeiten gegenüber offenbleibt! Oder sich wenigstens vernünftigen Argumenten gegenüber zugänglich zeigt. Er soll aktiv nach einer Behandlung für seine Krankheit suchen anstatt sich aufzugeben und in irgendein obskures Resort zurückzuziehen wie ein verwundetes Tier in seine Höhle.“
Claire verschränkte ihre Hände und unterdrückte den Impuls, seinen Arm oder seinen Handrücken zu berühren. „Er ist mit dem Segen seines Arztes hier, hat er Ihnen das gesagt?“
„Dann muss er einen neuen Arzt finden.“
„Er wurde von einem ganzen Team betreut. Jeder von ihnen wird den Fall gerne mit Ihnen durchgehen, wenn Sie das möchten. Und alle werden mit tiefstem Bedauern sagen, dass eine Operation nicht möglich ist. Chemo und Bestrahlung sind strikt palliative Maßnahmen, und die Nebenwirkungen sind so schwerwiegend, dass sie ihn jeglicher Lebensqualität berauben würden. Die Ärzte Ihres Großvaters werden Ihnen sagen, dass es keine Therapie mehr für ihn gibt. Ihr Großvater hat seine Entscheidung getroffen. Hierbei kann es nicht um Sie gehen, Ross! Es muss um George gehen! Können Sie das zulassen? Bitte?“
Er sagte nichts, doch es war ein wütendes Schweigen, in das er sich hüllte.
„Sie müssen mich nicht mögen.“ Sie kämpfte darum, die Barriere zwischen ihnen aufrechtzuerhalten. „Für mich ist es nicht wichtig, dass Sie mich mögen. Aber je eher Sie einen Weg finden, sich mit den Wünschen Ihres Großvaters anzufreunden, desto besser ist es für ihn.“
„Okay. Ich hab’s verstanden.“ Ross verfiel wieder in Schweigen und blieb eine ganze Weile so. Sie wartete, lauschte auf das Rascheln der nächtlichen Kreaturen im Unterholz, das leise Plätschern der Wellen ans Seeufer. Endlich fragte er: „Hat er schon Kontakt zu seinem Bruder aufgenommen?“
Der Bruder. Sie spürte, dass Ross über diese Entwicklungnicht allzu
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