Sommer unter dem Maulbeerbaum
Großmutter mit sich in den Tod riss.«
Die Bitterkeit in Matts Stimme ließ Bailey frösteln. »Sie sehen so verliebt aus«, sagte sie, während sie das Foto in der Hand hielt. »Sieh dir nur ihre Augen an! Sie schaut ihn an, als ob ...« Sie brach ab.
»Als ob sie ihm überallhin folgen wollte?«, fragte Matt mit Sarkasmus in der Stimme. »Sie ist ihm auch gefolgt. Aber Jahre später verließ er die Stadt und kam nie wieder zurück. Er ließ die Frau im Stich, die ihn mehr liebte als ihr Leben und jetzt zwei kleine Kinder allein durchbringen musste. Und die viel zu stolz war, ihre Eltern um Hilfe zu bitten.«
»Wie hat deine Familie überlebt?«
Matt lehnte sich auf dem Sofa zurück und sagte einen Augenblick lang gar nichts. »Ich erinnere mich an eine Kindheit voll Arbeit«, bekannte er dann leise. »Das schien alles zu sein. Meine Mutter hat für einen knauserigen, alten Bastard den hiesigen Lebensmittelladen geführt. Uns hat sie in der Obhut einer schlampigen, alten Frau gelassen, die sich den ganzen Tag Seifenopern im Fernsehen ansah und meinen Bruder und mich überhaupt nicht beachtete.«
Matt holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Ich habe mein Bestes getan, um dafür zu sorgen, dass mein kleiner Bruder genug zu essen bekam und ihm nichts geschah. Ich war ein kräftiger Junge, also habe ich mit neun Jahren angefangen, für Geld Rasen zu mähen. An dem Tag, als mein Vater uns verlassen hat, wurde ich mit einem Schlag vom Kind zum Mann. Er nahm seine High-School-Auszeichnungen, schrieb seiner Frau eine Nachricht, dann war er weg.«
Als Matt Bailey ansah, waren seine Augen ganz dunkel vor Zorn. »Weißt du, was in der Nachricht stand?« Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. »«Vergib mir.- Das war alles. Nur zwei Worte.«
»Aber du hast ihm nicht vergeben, nicht wahr?«
»Nein. Wenn ein Mann eine Abmachung trifft, dann hält er sich auch daran.«
»So wie du es mit Cassandra gemacht hast?«
»Genau. Bis ihre Handlungsweise mich entbunden hat, bin ich geblieben. Ich habe den Treueschwur geleistet und meinte es auch so.«
»Ist deine Mutter nie wieder mit ihren Eltern in Kontakt getreten?«
»Nein. Zu viel Stolz.« Er lächelte. »Sieh mich nicht so an. Ich weiß, dass ich ihren Stolz geerbt habe. Das hat Patsy mir oft genug gesagt. Aber meine Mum wollte kein Geld von ihren Eltern annehmen und sie nahm auch keins von mir. Ich habe während der ganzen Schulzeit gearbeitet, in jeder freien Minute, und jeden Penny gespart. Meine Mutter wollte gern, dass ich aufs College gehe. Sie meinte, ein Studium wäre die einzige Garantie dafür, dass ich nicht so enden würde wie sie. Das war das einzige Mal, dass sie sich auch nur annähernd beklagt hätte.«
»Ich wünschte, ich hätte sie kennen lernen können«, sagte Bailey. »Aber wenn ich in einer solchen Lage gewesen wäre, dann hätte ich mich ganz sicher beklagt. Und ich wäre auf Knien zu meinem Vater gerutscht und hätte ihn um Hilfe angefleht.«
Matt sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ach wirklich? Warum habe ich nur das Gefühl, dass das nicht wahr ist? Warum habe ich den Eindruck, dass du möglicherweise, eventuell, mehr Stolz besitzt als meine Mutter und ich zusammengenommen?«
Bailey wandte sich ab. Er durchschaute sie zu genau. »Hat deine Mutter deinen Collegeabschluss noch miterlebt?«
»Nein. Sie ist gestorben, als Rick im letzten Jahr auf der High School war. Sechs Monate später hat er dann Patsy geheiratet. Rick hat gesagt, er wäre nicht wie ich, hätte nicht meinen Elan, und er konnte es nicht ertragen, allein zu leben. Er sagte, mit Patsy hätte er jemanden, für den er leben könnte. Er war gescheiter als ich. Er wusste, was gut für ihn war, und hat alles getan, um es zu bekommen. Er ist sehr glücklich mit Patsy und den Kindern geworden.«
»Aber du nicht. Du bist nicht glücklich geworden.»
»Nein, ich nicht. Ich hatte immer das Gefühl, in meinem Leben würde etwas fehlen und in meinem Inneren klaffe eine große Leere.«
»Hast du jemals herausgefunden, wohin dein Vater gegangen ist oder warum?«
»Vor ein paar Jahren bekam ich ein Paket. Die Besitzerin einer Pension in Baltimore hatte es geschickt. Dazu schrieb sie, ihr Mieter hätte gesagt, nach seinem Tod solle sie mir das Paket zusenden.«
»Lass mich raten. Es war von deinem Vater.«
»Ja. Es waren alle seine Auszeichnungen von der High School darin, die er damals mitgenommen hatte. Es lag kein Brief bei, nichts außer den Auszeichnungen. Zu der Zeit
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