Sommer unter dem Maulbeerbaum
hatte, Angst hätte die Tränen ausgelöst, doch ein paar Mädchen sagten: »Wir waren so gemein zu ihnen.« Daher fing die Reporterin an, Fragen zu stellen. Man erzählte ihr, dass die Schüler aus Wells Creek die zusätzlichen Schüler aus Calburn nicht gewollt hatten, also hatten sie dafür gesorgt, dass sie sich gar nicht erst wohl fühlten. »Tote Ratten in ihren Schließfächern«, schrieb sie. »Bei jeder Gelegenheit Schikanen, Beschimpfungen, Ächtungen. Es muss schrecklich gewesen sein für die Schüler aus Calburn, doch am Ende erwiesen sie sich als über die schlechte Behandlung erhaben und setzten ihr Leben für andere aufs Spiel.«
Bailey las den genauen Bericht über die Ereignisse jenes Tages. Taddy erzählte Reportern, er habe, nachdem man sie angewiesen hatte, die Schule zu räumen, aus dem Fenster seines Klassenraumes geschaut und Rauch aus der Turnhalle kommen sehen. Er sah, wie ein paar der Fußballspieler gegen die Tür hämmerten, daher schloss er, dass sie vermutlich dort drinnen eingeschlossen waren. Da die Tür zu seinem Klassenzimmer von Schülern blockiert war, die einander schubsten und drängelten, kletterte Taddy aus dem Fenster, stieg die Feuerleiter hinunter und öffnete den Fußballern die Tür. Ein paar von ihnen mussten behandelt werden, weil sie eine leichte Rauchvergiftung hatten, doch dank Taddy war niemand ernsthaft verletzt.
Rodney gab an, er habe Schreie aus dem Umkleideraum der Mädchen gehört, also war er in diese Richtung gerannt. Die Tür vom Umkleideraum nach draußen war verriegelt. Er konnte sie nicht aufbekommen, daher ging er zu den Fenstern hinüber. Der Umkleideraum befand sich im Untergeschoss, und die Fenster waren ebenfalls verriegelt, doch nebenan war der Werkraum. In den lief Rodney hinein, schnappte sich ein Brecheisen und schlug die Fenster ein. Die Mädchen stiegen auf die Bänke und sprangen in Sicherheit.
An dieser Stelle gab die Reporterin ihr Interview mit Rodney im genauen Wortlaut wieder. »Stimmt es, dass ein paar von den Mädchen nackt waren?«, fragte sie Rodney.
»Ja, Madam, das waren sie.«
»Und du hast ihnen deine eigenen Sachen gegeben, damit sie sich bedecken konnten, richtig?«
»Ich habe ihnen meine Jacke, mein Hemd, mein T-Shirt und meine Hose gegeben.«
»Ist das der Grund, warum du jetzt nur Boxershorts, Socken und Schuhe anhast?«
»Ja, Madam, das ist der Grund.«
Bailey musst unwillkürlich über das Interview schmunzeln. Sie sah den schönen jungen Mann vor sich, wie er dastand mit kaum etwas an, weil er seine Kleider ein paar beschämten Mädchen gegeben hatte.
Der Artikel fuhr fort: »Doch der Superheld war Kyle Longacre. In einem Glaskasten lag eine Gasmaske, ein Erinnerungsstück an den Ersten Weltkrieg. Kyle schlug das Glas ein, packte die Maske und zog sie über; dann sprang er auf ein Pult und kletterte auf den Dachboden des alten Gebäudes. Der Verfasserin erzählte er, er habe, als er den Rauch von der Decke herunterkommen sah, gleich gewusst, dass der Attentäter die Bombe vermutlich auf dem Dachboden deponiert hatte. Er gab an, gar nicht darüber nachgedacht zu haben, was er da tat, sondern einfach nur die Stufenleiter heruntergezogen zu haben und hinaufgestiegen zu sein.«
»Und du hast die Bombe tatsächlich gefunden?«, fragte die Interviewerin.
»Ja«, erwiderte Kyle, und der Reporterin zufolge schien er nicht so recht über seine Tat reden zu wollen.
Weiter schrieb die Reporterin, während Kyle noch interviewt wurde, erklärte ein Feuerwehrmann, was dieser Junge getan habe, sei das Dümmste gewesen, von dem er je in seinem Leben gehört hätte, und er wisse nicht, ob er dafür eine Medaille verdient habe oder zu seinem eigenen Schutz weggesperrt werden sollte. Dann kam eine Frau herüber, schüttelte Kyle die Hand und sagte, er habe ihrer Tochter das Leben gerettet. Die Frau fügte noch hinzu, sie wohne in einem Haus, das zu einer Siedlung mit Namen Goldene Sechzig gehöre, die Kyles Vater gebaut habe. Der Name rühre daher, dass das Land früher aus sechzig Morgen Broccoli bestanden habe, die, nachdem sie geschossen waren, das ganze Feld mit gelben Blüten bedeckten.
Die Reporterin beendete ihren Artikel mit dem Satz: »Ich weiß ja nichts über die 'Goldene Sechzig', aber diese Jungs sind ohne Zweifel die Goldenen
Sechs.«
»Und so«, hatte der Redakteur am Ende angefügt, »kamen sie zu ihrem Namen.«
14. KAPITEL
Bailey schob das Essen auf ihrem Teller hin und her. Auch diesmal hatte sie keine Zeit
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